Robert Habeck lehnt ein sofortiges Embargo für russische Energie ab. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Michael Kappeler/dpa)

Nach den Gräueltaten in der ukrainischen Stadt Butscha steht ein sofortiger Stopp von Energielieferungen aus Russland wieder im Zentrum der Diskussion.

Die Bundesregierung bleibt bislang bei ihrer Haltung, diesen Schritt aus Sorge vor den Folgen für Wirtschaft und Gesellschaft nicht zu gehen. Entsprechend äußerten sich der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck von den Grünen.

Nach dem Abzug der russischen Truppen aus dem Vorort von Kiew waren in Butscha Dutzende toter Zivilisten entdeckt worden. Die deutsche Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) reagierte mit der Aussage, dass nach den Vorgängen in Butscha auch das Thema Energielieferungen Gesprächsgegenstand weiterer Konsequenzen sein müsse.

Klingbeil sagte am Sonntagabend in der ARD-Sendung «Anne Will», er halte trotz der schrecklichen Bilder von Butscha «ein sofortiges Gas-Embargo aus vielen Gründen für einen falschen Weg». Der bayerische Ministerpräsident, CSU-Chef Markus Söder, teilte diese Position und wies darauf hin, dass sich Russland bereits andere Abnehmer suche, etwa Indien.

Geht auch um «gesellschaftlichen Zusammenhalt»

«Wir drehen gerade jeden Tag den Gashahn ein Stück weiter zu», sagte Klingbeil. Einen völligen Stopp von heute auf morgen zu machen, «da müssen wir bei aller Brutalität dieser Bilder und bei aller Emotionalität, die auch ich habe, da müssen wir über die Konsequenzen reden, die das für uns in Deutschland hätte». Da gehe es nicht nur um die Folgen für die Industrie, sondern auch den gesellschaftlichen Zusammenhalt.

Auf die Frage, ob ein sofortiges Embargo für russische Energie ausgeschlossen sei, egal was der russische Präsident Wladimir Putin tue, sagte Wirtschaftsminister Robert Habeck in Berlin: «Wir arbeiten ja an der Unabhängigkeit von russischem Öl und von Kohle und Gas.» Deutschland habe die Erdöl- und Erdgasförderung weitgehend eingestellt und sich gegen andere Lieferanten und Energieterminals entschieden. «Das bauen wir jetzt alles zurück und drehen es um», sagte Habeck. Insofern gebe es jeden Tag Schritte zu einem Embargo.

Habeck bekräftigte am Sonntagabend im ZDF, dass Deutschland bei Kohle Ende des Sommers frei von russischen Lieferungen sein werde und Ende des Jahres frei von russischem Öl.

Lambrecht forderte eine schnelle Antwort der EU-Staaten auf Gräueltaten an der ukrainischen Zivilbevölkerung. Die EU-Staaten müssten sich schnellstmöglich über weitere Sanktionen gegen Russland austauschen, sagte sie am Sonntag dem «Bericht aus Berlin» der ARD. Sie gehe davon aus, dass dann auch über Energielieferungen gesprochen werde. Die FDP-Jugendorganisation Junge Liberale rief die Bundesregierung auf, nach den Gräueltaten in Butscha ein «schnellstmögliches Energie-Embargo» gegen Russland zu verhängen.

Warnung vor enormen Folgen

Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) sagte den Sendern RTL und ntv, die Sanktionen müssten «vor allen Dingen Russland schaden und nicht uns». Ein schneller Ausstieg hätte enorme Folgen für wichtige Branchen wie die chemische und die Stahlindustrie.

Bis zum Sommer werden aus Sicht des Bundeswirtschaftsministeriums die russischen Ölimporte nach Deutschland voraussichtlich halbiert sein. Mit dem Ende des Sommers und zum Herbst hin könne Deutschland komplett auf russische Kohle verzichten. Beim Gas ist die Lage komplizierter. Der Anteil der russischen Gaslieferungen sank aber laut Ministerium bereits von 55 auf 40 Prozent. Bis zum Sommer 2024 könne es gelingen, bis auf wenige Anteile unabhängig von russischem Gas zu werden, hieß es. Das hänge aber auch vom Tempo beim Ausbau erneuerbarer Energien in Deutschland ab – sowie von einer Senkung des Verbrauchs.

Bei der Versorgung mit nicht-russischem Gas arbeitet die Bundesregierung daran, 2022 und 2023 mehrere schwimmende Terminals für Flüssigerdgas (LNG) in Deutschland in Betrieb zu nehmen. RWE und Uniper hätten sich im Auftrag der Bundesregierung eine Option auf drei schwimmende LNG-Terminals gesichert, hieß es. Zudem soll der Aufbau von Terminals etwa in Brunsbüttel vorangetrieben werden.

Niedersachsen setzt auf LNGs

Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) will bis zu 40 Prozent der russischen Erdgaslieferungen an Deutschland durch Import-Terminals für verflüssigtes Erdgas (LNG) in Wilhelmshaven ersetzen. Die nötige Infrastruktur dafür werde sehr zügig ausgebaut, sagte er der Zeitung «Welt» (Montag). «Dadurch allein sollten wir bis zum ersten Quartal kommenden Jahres etwa 20 und ab Sommer etwa 40 Prozent der russischen Erdgaslieferungen ersetzen können.» Bis zur Fertigstellung eines regulären LNG-Terminals solle das Gas von schwimmenden Anlegern auf hoher See mithilfe einer Pipeline ins deutsche Gasnetz gepumpt werden.

Um die Versorgung mit nicht-russischem Gas voranzutreiben, sollten zudem Gespräche mit Rohstoffunternehmen geführt werden, die bereits jetzt in Niedersachsen Erdöl und Erdgas fördern. Auch könnte ein Gasfeld in der Nordsee, das je zur Hälfte auf niedersächsischem und niederländischem Gebiet liegt, angebohrt werden. «Wenn der Umweltschutz gesichert ist, denke ich schon, dass das realisiert werden wird», sagte Weil dem Blatt.

Deutschlands Privatbanken rechnen im Falle eines Einfuhrstopps für Energie aus Russland mit einem Einbruch der Wirtschaft in Deutschland und Europa. «Emotional kann man jede Forderung nach einem Embargo verstehen», sagte der Präsident des Bundesverbandes deutscher Banken (BdB), Deutsche-Bank-Chef Christian Sewing, in einer Videoschalte. «Wenn es dazu kommen würde, ist es eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass die deutsche Wirtschaft und wahrscheinlich auch die europäische Wirtschaft in eine Rezession verfällt mit langfristigen Folgen.»

Deswegen bedürfe es «einer balancierten und wohlüberdachten Entscheidung», sagte Sewing. «Man sollte die langfristigen Konsequenzen nicht außer Acht lassen.» Eine Rezession in Deutschland wäre im Falle eines Stopps von Gas- und Erdöllieferungen aus Russland nach Einschätzung Sewings kaum zu vermeiden. «Die Frage nach staatlichen Hilfsmaßnahmen für Unternehmen und Branchen würde dann noch drängender.»

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