Lange wurde gerungen – nun steht die wohl letzte Abstimmung zum EU-Lieferkettengesetz bevor. Bei einem Ministerrat in Brüssel soll es nun final angenommen werden. Das Vorhaben und dessen Auswirkungen im Überblick:
Was ist das Ziel des EU-Lieferkettengesetzes?
Ziel des EU-Lieferkettengesetzes ist es, Menschenrechte weltweit zu stärken. Große Unternehmen sollen zur Rechenschaft gezogen werden können, wenn sie von Menschenrechtsverletzungen wie Kinder- oder Zwangsarbeit profitieren. Sie sollen zudem einen Plan erstellen, der darauf abzielt, sicherzustellen, dass ihr Geschäftsmodell mit dem Ziel vereinbar ist, die Erderwärmung auf 1,5 Grad im Vergleich zur vorindustriellen Zeit zu begrenzen.
Betroffene Unternehmen müssen nach Angaben des EU-Parlaments etwa vertragliche Zusicherungen ihrer Zulieferer einholen. Falls nötig, müssten sie außerdem kleine und mittlere Unternehmen, mit denen sie Geschäfte machen, unterstützen, damit diese den neuen Verpflichtungen nachkommen könnten.
Was bedeutet das Gesetz für Verbraucher?
Der Referent für nachhaltigen Konsum im Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv), Jochen Geilenkirchen, sieht in dem EU-Lieferkettengesetz eine Entlastung für Verbraucherinnen und Verbraucher. «Es nimmt diejenigen für nachhaltige Produkte im Supermarkt in die Verantwortung, die wirklich dafür sorgen können: die Unternehmen», betonte er. Verbraucherinnen und Verbraucher könnten durch Kaufentscheidungen ohnehin nicht korrigieren, was in der Lieferkette schieflaufe.
Ein Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft habe gezeigt, dass die zu erwartenden Kostensteigerungen durch das EU-Lieferkettengesetz überschaubar seien. Außerdem sei es dem Gutachten zufolge weniger wahrscheinlich, dass dadurch bestimmte Produkte wegfielen als beim schon geltenden deutschen Lieferkettengesetz. Dem Verband ist nicht bekannt, dass infolge der Einführung des deutschen Gesetzes Produkte aus bestimmten Regionen weggefallen seien.
Wie unterscheiden sich europäisches und das deutsches Gesetz?
Einer der größten Unterschiede ist die Haftbarkeit: Im deutschen Gesetz ist ausgeschlossen, dass Unternehmen für Sorgfaltspflichtverletzungen haftbar sind – das EU-Gesetz lässt das zu. Darüber hinaus gilt das deutsche Lieferkettengesetz für Unternehmen mit 1000 oder mehr Mitarbeitenden. In den kommenden Jahren sind von der deutschen Version also in der Bundesrepublik mehr Unternehmen betroffen als von der EU-Variante.
Wie wurde das Gesetz im Verhandlungsprozess abgeschwächt?
Ursprünglich sah ein Kompromiss von Unterhändlern der EU-Staaten und des Europaparlaments vor, dass Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten und mindestens 150 Millionen Euro Umsatz von den Vorgaben betroffen sind. Diese Grenze wurde jedoch auf 1000 Beschäftigte und 450 Millionen Euro angehoben, nach einer Übergangsfrist von fünf Jahren. Nach drei Jahren sollen die Vorgaben zunächst für Firmen mit mehr als 5000 Beschäftigten und mehr als 1,5 Milliarden Euro Umsatz weltweit gelten, nach vier Jahren sinken diese Grenzen dann auf 4000 Mitarbeitende und 900 Millionen Umsatz.
Was passiert bei Verstößen gegen das EU-Gesetz?
Die EU-Staaten sollen eine Aufsichtsbehörde benennen, die den Unternehmen auf die Finger schaut. Diese soll auch Strafen gegen Unternehmen verhängen können, wenn diese sich nicht an die Vorschriften halten. Es können Geldstrafen von bis zu fünf Prozent des weltweiten Nettoumsatzes eines Unternehmens fällig werden.
Was halten Wirtschaftsexperten von den Vorschriften?
Die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) sieht die Regelung trotz der Änderungen kritisch. Diese seien aus Sicht der Wirtschaft zwar positiv zu bewerten, aber «auch leicht abgespeckt bleibt die EU-Lieferkettenrichtlinie wenig praxistauglich und wird viel Bürokratie mit sich bringen», sagte DIHK-Präsident Peter Adrian. Rechtsunsicherheit bestehe weiter.
Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, hatte sich hingegen eindringlich für das Vorhaben ausgesprochen. Deutschland würde ohne eine EU-Version des Gesetzes einen erheblichen wirtschaftlichen Schaden erleiden, sagte er.
Welche Rolle hat Deutschland bei der Verhandlung gespielt?
Als Mitte März im Ausschuss der ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten eine ausreichende Mehrheit der EU-Länder ihre Zustimmung signalisierte, enthielt sich Deutschland. Der Grund: Uneinigkeit innerhalb der Bundesregierung. Wichtige EU-Gesetze werden in Brüssel immer wieder ohne deutsche Zustimmung verabschiedet. Wenn sich die Bundesregierung auf keine einheitliche Position einigen kann, schwächt das die Verhandlungsposition Deutschlands in Brüssel.
In diesem Fall hatte die FDP darauf gedrängt, dass Deutschland dem Gesetz nicht zustimmt, aus Sorge vor Bürokratie und rechtlichen Risiken für Unternehmen. Politikerinnen und Politiker von SPD und Grünen befürworten die Regelung dagegen.
Wie geht es weiter?
Der Gesetzestext muss nun nur noch im Amtsblatt der EU veröffentlicht werden. Danach haben die EU-Staaten gut zwei Jahre Zeit, die neuen Regeln in nationales Recht umzusetzen. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) kündigte bereits an, dass es keine Doppelbelastung durch das deutsche und das europäische Lieferkettengesetz geben solle. Gesetzgeberisch werde die Ampel dafür sorgen, dass Bürokratie beschränkt werde. Das Bundesentwicklungsministerium teilte mit, es werde Unternehmen bei der Umsetzung des Gesetzes unterstützen. Unter anderem soll es kostenlose Beratung für Firmen geben.