Lina Wertmüller im November 1987 in Berlin. (Urheber/Quelle/Verbreiter: dpa)

Zu ihrem Markenzeichen zählten die etwas schrägen Brillen. Von ihnen hatte sie mehrere tausend gesammelt. Auch sonst war die Frau mit den kurzen, schlohweißen Haaren trotz ihrer nur 1,50 Meter Körpergröße eine auffällige Erscheinung.

Als Regisseurin schrieb die Römerin im 20. Jahrhundert ein Stück Filmgeschichte. Nun ist Lina Wertmüller im Alter von 93 Jahren gestorben.

Geboren wurde sie am 14. August 1928 als Tochter eines römischen Rechtsanwalts, dessen Vorfahren einer vornehmen Schweizer Familie entstammten. Die Familiengeschichte spiegelte sich schon im langen Namen der Künstlerin wider, denn eigentlich hieß sie Arcangela Felice Assunta Wertmüller von Elgg Spanol von Braueich. Schon die Kindheit muss turbulent gewesen sein, denn nach eigenen – leicht schwankenden – Angaben wurde sie aus 11 bis 15 Schulen hinausgeworfen.

Gegen den Willen ihres Vaters studierte sie an der Theaterhochschule in Rom. Sie arbeitete dann als Journalistin, Schauspielerin, Bühnenbildnerin und Autorin für Funk und Fernsehen. Über eine Freundin fand sie Kontakt zu Regisseur Federico Fellini («La dolce vita»). Sie arbeitete 1963 als Regieassistentin bei dessen Film «Achteinhalb» («8 1/2»). Noch Jahrzehnte später schwärmte sie in einem «Tagesspiegel»-Interview von der Zusammenarbeit mit dem Maestro: «Ein Zauberer und Poet» sei dieser gewesen. Im gleichen Jahr führte sie in «Die Basilisken» zum ersten Mal selbst Regie.

Der Durchbruch als Regisseurin gelang Wertmüller erst in den 1970er Jahren mit einer Serie von Filmen mit dem italienischen Schauspieler Giancarlo Giannini in der Hauptrolle. Für den Skandalfilm «Sieben Schönheiten» (1975) wurde sie als erste Frau überhaupt für den Oscar als beste Regisseurin nominiert. Es ist eine Groteske, in der ein neapolitanischer Kleinkrimineller versucht, im KZ zu überleben, indem er sich der unförmigen Lagerleiterin sexuell zur Verfügung stellt.

Zu ihren bekanntesten Filmen zählt «Liebe und Anarchie» (1973), in dem ein Verschwörer ein geplantes Attentat auf Diktator Benito Mussolini im Bordell verschläft. Lang wie Wertmüllers Name ist der Titel von «Hingerissen von einem ungewöhnlichen Schicksal im azurblauen Meer im August» (1974) über die skurrile Liebesgeschichte zwischen einer gelangweilten Industriellengattin und ihrem Matrosen, in der sich nach einem Schiffbruch das Herr-und-Knecht-Verhältnis umkehrt.

Kritiker warfen Wertmüller bisweilen Geschmacklosigkeiten vor oder auch das Bedienen von Italien-Klischees, aber das hat das Energiebündel nie gestört. Fern der Heimat wurde sie in Amerika in den 1970er Jahren zur Kultfigur, man nannte sie «die Heilige von New York». Sie selbst bezeichnete sich einmal als eine «geniale Idiotin».

Ihre Vielseitigkeit bewies Wertmüller auch als Opernregisseurin und brachte 1992 eine Neuinszenierung von Georges Bizets «Carmen» zur Eröffnung der Münchner Opernfestspiele auf die Bühne. Nach der Jahrtausendwende wurde es etwas ruhiger um die große Künstlerin.

Ende Oktober 2019, da war sie 91, wurde ihr in Los Angeles der Ehren-Oscar für ihr Lebenswerk verliehen und sie bekam einen Stern auf dem Walk of Fame. «Ich habe ein ehrwürdiges Alter, ich weiß, aber ich schaue in die Zukunft. Ich habe so viele Projekte, dass ich bis 130 weitermachen könnte», sagte sie bei dieser Gelegenheit. Im Dezember 2019 führte sie im Teatro Quirino in Rom Regie bei der Komödie «A che servono gli uomini» (Wozu sind die Männer gut).

Verheiratet war Wertmüller mit dem Kunstdesigner Enrico Job (1934-2008), den sie um viele Jahre überlebte.

Von Klaus Blume, dpa

Von