Wolfgang Petry hat in seinem Leben vieles gegeben, aber nicht sein letztes Hemd. Plötzlich steht er wieder da, in der alten Pracht, wenn man das so nennen will.
Die Haare ergraut, aber lang, die Jeans verwaschen. Und vor allem: im gemütlichen Holzfällerhemd, das man länger nicht mehr an ihm gesehen hat. Fast so wie damals, als er die Stadien der Republik füllte.
Zu bewundern ist die kleine Retro-Modenschau im Clip zu Petrys neuem Lied «Kämpfer», in dem der Sänger auftritt und das sein neues Album «Auf das Leben» einläutet (erscheint am 24. September). Nicht nur seine Fans dürften den Aufzug als Botschaft lesen: Der «Wolle» von einst ist wieder da – pünktlich zu seinem 70. Geburtstag an diesem Mittwoch (22. September). Und das ist bemerkenswert – denn es gab auch mal eine Zeit, in der von diesem Holzfällerhemd-Wolle nichts mehr zu sehen war. Dafür muss man aber etwas zurückblicken.
Petry wurde 1951 als Franz Hubert Wolfgang Remling geboren. Viele glauben, er sei aus Dortmund, Duisburg oder Essen, weil er dem Ruhrgebiet einen Liebesbrief sang («Ihr seid das Ruhrgebiet, die Droge, die mich süchtig macht») und sich als «Kumpelrocker von nebenan» sehr gut zwischen Currywurst, Pils und Maloche einordnen ließe. Tatsächlich ist Petry aber Kölner. Sein Aufstieg zu einem der erfolgreichsten Schlagersänger Deutschlands begann mit einem Auftritt in einer Disco mit dem Namen «Whisky Bill» in Rösrath.
Vor allem die 90er waren ein goldenes Jahrzehnt für ihn. Die Menschen brüllten enthusiastisch «Hölle, Hölle, Hölle!», zu seinen Stadion-Konzerten kamen Zehntausende und Petry wurde als Gesamterscheinung Kulturgut. Kaum ein Komiker ließ es aus, sein Outfit – Schnauzbart, Zottelmähne, Holzfällerhemd – durch den Kakao zu ziehen. Seinen Anhängern war das egal, sie verehrten ihren «Wolle», der nicht so elegant wie Udo Jürgens und so anschmachtbar wie Howard Carpendale war – aber eben ein guter Typ.
Die große Zäsur kam 2006, als Petry trotz großer Erfolge verkündete, er wolle nun abtreten und damit Schlager-Deutschland große Rätsel aufgab. 2018 entstand sogar ein Musical mit seinen großen Hits von «Bronze, Silber und Gold» über «Weiß der Geier» bis zum legendären «Wahnsinn» – eigentlich ein untrügliches Zeichen, dass die Karriere im letzten Verwertungsabschnitt angekommen ist. Auf den Fotos zu dem Projekt war Petry mit kurzen Haaren und Mütze zu sehen.
Irgendwann kam dann aber – neben einem wenig erfolgreichen englischsprachigen Intermezzo als Pete Wolf – wieder Schlagermusik. Womit man in der Jetzt-Zeit ist.
«Kämpfer» klingt tatsächlich so, als könne es sich Petry auf seiner Hochphase 1996 ausgedacht haben – eingängig, aber nicht verspielt, von Gitarren getrieben und mit reichlich «Wolle»-Lyrik («Ich werd‘ immer zu Dir steh’n, lass uns über Wasser geh’n, wenn die ganze Erde brennt: Scheißegal, Du bist bei mir!»)
Das Lied verführte ihn dazu, dem Karohemd eine neue Chance zu geben. «Die Idee kam beim Song „Kämpfer“, den ich ganz bewusst nach alter Art so produziert habe, und so schaute ich mich in meinem Kleiderschrank um», erzählt er. «Da hing noch das Karohemd, das ich schon so lange nicht mehr beachtet hatte und ich beschloss es beim Videodreh zu benutzen.» Petry sagt, er habe auf dem Album selbst testen wollen, ob er noch in der Lage sei, einen Ohrwurm der Hausnummer «Verlieben, verloren, vergessen, verzeih’n» zu schreiben.
Auch der Rest der Platte dürfte Petry-Fans ein wohliges Gefühl vermitteln. Es gibt ein großes Liebes-Lied («Eine Sekunde»), es gibt die Kumpel-Hymne, zu der man mit ihm am liebsten ein Bier zischen möchte («Auf dein Leben»). Sogar das Ruhrgebiet kommt vor («Bei Kamen stand ich oft mal in ’nem Stau, an solchen Tagen brauch‘ ich keinen Applaus», aus «Rattenscharf»).
Zugleich gönnt sich Petry auch Ausflüge in weniger bekannte Gefilde. Das Lied «Bestimmung» ist eine Art Swing-Nummer, «Von vorne» für seine Verhältnisse fast schon kühn wortwitzig und erinnert an «We Didn’t Start the Fire» von Billy Joel. So viel sei gesagt: Es kommt das Wort «Samenraub» vor. Die beste Zeile findet sich aber im Lied «Liebe ist geil» und lautet: «Liebe ist gut, Liebe ist schlecht,
Liebe ist Pilcher und manchmal Brecht.»
Über Petry lässt sich ähnliches sagen. Er war in seiner Karriere auch immer beides: der erdige Arbeiter und das groteske Klischee. Welcher Seite das Karohemd zuzurechnen ist, weiß nur er selbst. Es steht ihm jedenfalls gut.