Sänger Max Raabe könnte auf den Winter gut verzichten. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Britta Pedersen/dpa-Zentralbild/dpa)

Max Raabe kommt im dunkelblauen Anzug zum Interview. Auf dem Tisch steht eine Teetasse. Der 59-Jährige veröffentlicht am Freitag (14. Oktober) sein neues Album «Wer hat hier schlechte Laune». Draußen meldet sich der Herbst.

Frage: Herr Raabe, auf Ihrem neuen Album besingen Sie so schön den Sommer. Haben Sie schon wieder Sehnsucht?

Antwort: Das Warten auf den Sommer hält mich wirklich wach. Ich lebe wahnsinnig gerne in Berlin, aber die Wintermonate hier… Da müsste man echt mal mit dem Senat reden und versuchen, mindestens zwei Monate zu überspringen.

Frage: Gute Idee. Haben Sie die Heizung denn schon angestellt?

Antwort: Nein. Auch in den Jahren davor war ich immer stur und habe sie erst im Dezember angeworfen.

Frage: Oh, das ist aber wirklich spät.

Antwort. Ja, nun bin ich auch viel weg. Aber trotzdem: Ich habe früher auch schon eher mal eine Strickjacke oder so angezogen, bevor ich im November schon heize.

Frage: Auf dem Album gibt es viele Texte, die in Krisenzeiten recht tröstlich erscheinen. Manche meinen ja, wir lebten in einer Dauerkrise. Wie erleben Sie das?

Antwort: Zu allererst muss ich sagen, dass meine Texte nie etwas mit dem zu tun haben, was in den Nachrichten oder der Weltpolitik vonstattengeht. Es geht immer nur um das Durcheinander zwischenmenschlicher Beziehungen. Und wenn ich singe «Wer hat schlechte Laune?», dann ist eher gemeint: Es gibt Rosenkohl, die Kinder kommen rein, sitzen am Tisch und gucken dementsprechend.

Frage: Interessiert Sie das mehr als die Politik?

Antwort: Ich interessiere mich sehr für die Politik, aber ich war nie so anmaßend, in meinen Liedern schlaue Kommentare zur Weltpolitik abzulassen. Zumal ich auch auf lange Sicht denke. Das soll in zehn Jahren immer noch aktuell sein. Darum habe ich auch nie etwas mit Corona geschrieben. Selbst Jahreszeiten finden bei mir kaum statt. Man kann auch nie wirklich zuordnen, wo etwas passiert. Man soll das bei den Liedern nicht mitbekommen, damit es frei bleibt; damit es jeder für sich in die Realität holt, die ihn betrifft.

Frage: In einer Textzeile heißt es: «Es wird wieder gut, auch wenn es nicht so aussieht». Glauben Sie das?

Antwort: Es ist meine Hoffnung.

Frage: Möchten Sie das noch weiter ausführen?

Antwort: Nein.

(Raabe überlegt kurz und legt dann doch nach. Er erzählt, es gehe ihm um Situationen, in denen es einem nicht gut gehe, in denen man mit Stress oder Krankheit kämpfe und in denen man Zuversicht brauche. Wenn man bei manchen seiner Textzeilen trotz aller Melancholie einfach mal grinsen müsse, habe er sein Ziel erreicht.)

Frage: In einem Song singen Sie, manchmal habe man eine Visage wie ein schlecht gelaunter Lurch. Was machen Sie, wenn Sie mal schlechte Laune haben?

Antwort: Stück Kuchen und Kaffee.

Frage: Haben Sie eigentlich auch einen Jogginganzug für zu Hause?

Antwort: Da ich nicht jogge, trage ich so etwas gar nicht.

Frage: Wie sieht dann bei Ihnen ein Kuscheltag aus?

Antwort: Ich gönne mir schon meine eigenen Nachlässigkeiten, aber auf eine Hose mit Gummizug musste ich noch nicht zurückgreifen.

Frage: Halten Sie es da mit Karl Lagerfeld? Der schien für Jogginghosen wenig übrig zu haben.

Antwort: Nö, keineswegs. Ehrlich gesagt: Auf der Bühne Smoking und Frack zu tragen, ist ja auch eine Art von Faulheit, weil ich mir keine Gedanken machen muss: Was ziehe ich heute an? Was habe ich letztes Jahr auf dieser Bühne angehabt? Da bin ich schon mal fein raus. Und man hat sofort auch eine gewisse Haltung. Das hilft. Ansonsten bin ich ziemlich offen – auch in der Frage, wie die Leute ins Konzert kommen. Ich freue mich immer, wenn sie sich ein bisschen in Schale werfen und das genießen, den Abend mal zelebrieren. Aber ich beurteile die Leute nicht nach der Kleidung. Ich habe sofort einen Eindruck, wenn ich jemandem begegne, aber das liegt nicht daran, was er trägt.

Frage: Sondern woran?

Antwort: Am Blick. An der Haltung. Und ich täusche mich auch und werfe mein Urteil dann nach zehn Minuten über Bord. Im positiven wie im negativen Sinne.

Frage: Hören Sie privat eigentlich Musik?

Antwort: Ehrlich gesagt, ganz selten. Das ist ein bisschen wie bei einem Metzger, der zu Hause auch keine Wurst isst, wenn er den ganzen Tag mit Würsten zugebracht hat. Ich finde es schön, mal nur einem Cello zuzuhören oder etwas von Bach. Ich höre zu Hause aber wirklich ganz selten Musik.

Frage: Haben Sie für sich eine Fantasie davon, wie Ihr Leben ausgesehen hätte ohne die Musik?

Antwort: Ich habe keine Ahnung. Ich bin wirklich froh und dankbar, dass es mit der Musik funktioniert hat. Ich war eigentlich immer argwöhnisch. Als es losging, dachte ich: «Wer weiß, wie lange das gut geht.» Wir haben dann in den 90er Jahren 200 Konzerte im Jahr gespielt, weil wir dachten, irgendwann sei Schluss. Dann haben wir gemerkt: «Okay, wahrscheinlich brauchen wir uns jetzt keine Sorgen mehr zu machen. Wir haben uns ein Publikum erobert, das uns treu ist, das wiederkommt.» Und haben deutlich reduziert und noch 80, 90 Konzerte im Jahr gespielt. Das ist ein ganz gutes Maß.

Frage: Haben Sie ein bestimmtes Ritual, bevor Sie auf die Bühne gehen?

Antwort: Ich ziehe meinen Smoking an. Und dann bin ich in der Rolle. Ansonsten bin ich die letzte halbe Stunde in meiner Garderobe oder gehe nochmal spazieren. Also ich ziehe mich zurück, aber es ist kein Drama. Jeder kann jederzeit zu mir kommen. Ich sitze nicht mit wehendem Schal in meiner Garderobe: «Lasst mich alleine!» Solche einfachen Klischees brauche ich nicht.

Frage: Sie sprechen übrigens das Wort «Orchester» so schön aus, mit einem weichen ch. Woher kommt das?

Antwort (lacht): Ich bin Westfale. Und allen, die mir immer blöd kommen und Witze darüber machen, denen sage ich immer: «Das kommt aus dem Griechischen.»

Interview: Julia Kilian, dpa

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