Marianne Rosenberg hat in ihrer langen Karriere viel experimentiert. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Malte Krudewig/dpa)

Marianne Rosenbergs Name löst seit Jahrzehnten bei vielen sofort einen Ohrwurm aus: «Er gehört zu mir». Ein solcher Kracher von Hit kann Fluch und Segen sein. Die Sängerin hat da eine gewisse Gelassenheit entwickelt. «Das wird einen begleiten, bis sie die Kiste runterlassen», sagt sie.

In einem Jazz-Song habe sie genau das beschrieben. «Dieser Song gehört zu mir wie mein Name an der Tür. Wenn sich die Rolling Stones nicht erlauben können, ohne ‚Angie‘ oder ‚Satisfaction‘ auf die Bühne zu gehen – wer bin ich, dass ich glaube, dass ich ohne ‚Er gehört zu mir‘ nach Hause gehen kann?»

Wer je zu Schlagern getanzt hat oder noch die längst eingestellte ZDF-«Hitparade» gesehen hat, kennt sie: Marianne Rosenberg (67) prägt die deutsche Musikwelt seit den 70er Jahren, wohl ganze Generationen von Paaren haben sich bei ihren Hits kennengelernt.

Intellektuelle versteckten ihre Platten hinter Pink Floyd, sagt sie selbst. In der schwulen Szene ist sie eine Ikone. Sie hat jung angefangen. Als Teenager wurde sie bei einem Nachwuchswettbewerb entdeckt. «Mr. Paul McCartney», «Marleen», «Fremder Mann» oder «Ich bin wie Du» sind Meilensteine ihrer Karriere, in der sie viel experimentiert hat, mit Rock, Pop, Chanson, Jazz, Techno und Punk. Ihr Album zum 50. Bühnenjubiläum schaffte es 2020 auf Platz 1.

Verbeugung vor den Disco-Queens

Und nun geht es wieder auf die Tanzfläche, zurück unter die Discokugel. Auf dem Cover ihres neuen Albums «Diva» trägt sie ein pinkes Glitzergewand. Rosenberg hat in den legendären Berliner Hansa-Studios Songs aus der großen Zeit der Disco-Queens aufgenommen.

Es sind Coverversionen mit von ihr ins Deutsche übertragenen Texten, stampfende Dance-Klänge von heute mit den typischen Disco-Streichern. «So kannst Du nicht gehn» ist beispielsweise im Original «Don’t Leave Me This Way» von Thelma Houston (nicht von Jimmy Somerville, darauf legt Rosenberg Wert). Es ist Musik gewordener Glitzer, für Partys oder für die Straße zur Christopher-Street-Day-Parade. Rosenbergs Sohn Max (30) half, die alten Hits zeitgemäß neu zu verpacken.

Zum Interview wartet sie bei Berliner Sommerhitze im Café Einstein. Wenn Musiker über ihr Album sprechen, kann das langweilig sein. Oft sagen sie das, was sie ausdrücken wollen, schon mit der Musik. Bei Rosenberg ist das nicht so. Sie hat einiges zu sagen, über ihr Leben, ihre Musik und auch dazu, womit sich Frauen herumschlagen.

Um ihre lange wenig bekannte Familiengeschichte – der Vater überlebte als Angehöriger der Sinti-Minderheit das NS-Vernichtungslager Auschwitz – soll es bei dieser Gelegenheit nicht gehen. Mit diesem Erbe geht sie behutsam um und will es nicht kurz abhandeln oder gar für PR-Zwecke einsetzen.

Reise in die Vergangenheit

Wie so viele Künstler hat Rosenberg die lange Stille der Corona-Zeit hinter sich. In der Pandemie ließ sie die alten Zeiten und die Musik, die sie begleitet hat, Revue passieren. «Dann dachte ich, wie wunderbar wäre es doch, diese Musik, die Stimmen und diese ikonischen Frauen, von Grace Jones über Thelma Houston bis Donna Summer, zurückzuholen. Wenn man diese Zeit zurückholen könnte, als sich die Menschen auf dem Tanzboden kennen gelernt haben, nicht im Internet.»

Am prägendsten war für sie Gloria Gaynor, der Groove mit Streichern, Bläsern und souligen Arrangements. Den Albumtitel hat Rosenberg bewusst gewählt. Sie empfindet «Diva» als ähnlich abwertend für Frauen wie die Bezeichnung «Emanze». Sie will dem etwas entgegensetzen.

Die Sängerin kennt schillernde Gerüchte über sich, zum Beispiel: Die Diva lässt zwei Stunden vor dem Auftritt ihre Garderobe umstreichen. «Das fand ich erstmal witzig, aber da sieht man schon, woher der Wind weht.»

Ihre Definition von «Diva»

Der Begriff komme ja eigentlich aus der Oper. «Die Diva überhaupt ist für mich Maria Callas, eine große Künstlerin», sagt Rosenberg. «Wenn man mich dann fragt: Bin ich eine Diva? Ja, in dem Sinne, wie ich Diva definiere, dass sie mit selbstbestimmter Arbeit, mit einem langen emanzipatorischen Weg vom stillen, introvertierten Mädchen zu dieser Frau geworden ist. Dann bin ich eine Diva.»

Einer, der ihr half, selbstbestimmt zu arbeiten, war der Musiker Rio Reiser. Die 80er Jahre und die linke Szene in ihrer Heimat Berlin haben sie geprägt. Reiser schrieb den Song «Für immer und dich» für Rosenberg, wie sie sich erinnert. «Er gibt mir das, und ich sage zu ihm: Weißt du, ich singe keine Lieder mehr über die Liebe und über Männer. Ich habe das genug gemacht.»

Beide hatten denselben Manager, aber strebten in unterschiedliche Richtungen: «Er wollte sehr viele Platten verkaufen und in den Mainstream.» Sie habe eine andere Sprache gesucht. Reiser brachte sie darauf, ihre Texte selbst zu schreiben. Deswegen würdigt sie ihn auf «Diva» mit einem Song.

Auf Demos wie in den 80ern geht Rosenberg heute nicht mehr. «Das ist mir in meinem Alter zu anstrengend geworden.» Aber sie engagiert sich noch. «Ich empfinde mich nicht als politische Künstlerin, sondern als zivile Frau. Ich finde auch, dass alles politisch ist. Insbesondere die kleinste Verbindung, die es zwischen zwei Menschen gibt, die ist die politischste überhaupt. Da beginnt für mich Politik. Stichwort Gleichberechtigung in der Partnerschaft. Selbstbestimmtes Leben. Emanzipation. Gleiche Löhne.»

Rosenberg hat erlebt, dass sie als Frau «vollkommen unterschätzt» worden sei. «Die eigene Arbeit zu machen, Musik zu schreiben, Musik zu produzieren, die Etats reinzuholen – das hat lange gedauert, bis man mir das anvertraut hat», erzählt sie. «Als Frau muss man 20.000 Mal lauter brüllen und Theater machen, um überhaupt gesehen zu werden und sich durchzusetzen.» Diva – das ist für sie auch ein politisches Wort. Es steht nicht nur für andere große Frauen, sondern genauso für eine lange Reise zu sich selbst.

Von Caroline Bock, dpa

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