Der Gaspreis ist stark gestiegen. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Marijan Murat/dpa)

Die explodierenden Gaspreise und die Angriffe aus der EU gegen die Gasgroßmacht Russland sind für Präsident Wladimir Putin seit Tagen Chefsache. Er wehrt sich kategorisch gegen Vorwürfe, Russland sei für die immer neuen Rekorde verantwortlich.

Bei Verbrauchern in Deutschland machen sich Sorgen breit, ob sie künftig ihre Heizrechnungen bezahlen können. Putin räumt inzwischen ein, dass dringend gehandelt werden müsse, um die Lage zu entspannen.

«Europa läuft vor Kälte blau an ohne russisches Gas», titelte gerade die Moskauer Tageszeitung «Nesawissimaja Gaseta». Andere russische Medien feiern den 69-Jährigen angesichts der «Panik auf dem Gasmarkt» schon als möglichen Retter vor einem drohenden Kälteschock der Europäer.

Der in Gaskrisen erprobte Präsident sagt, dass der Staatskonzern Gazprom helfen könne, wenn es für ihn nicht zu teuer werde. Russland sei offen für Angebote der Großabnehmer aus der EU, betont der Kreml.

Die Lösung? Der Gastransit über die Ukraine könnte deutlich ausgeweitet werden. Doch sei das teuer für Gazprom. Es ist Putins Art zu sagen, dass die Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 für den günstigen Gastransport bereitsteht. Es fehlt nur die Betriebsgenehmigung der deutschen Behörden. Der Kreml weist immer wieder darauf hin, dass die rasche Inbetriebnahme Entspannung in der Energiekrise bringen könne.

Schuld an den hohen Preisen sei nicht Russland, sondern die Lage auf dem Weltmarkt – und eine verfehlte Energiepolitik der EU, betont Putin. Trotz Russlands Warnungen sei sie von Langzeitverträgen abgerückt und zum Handel an den Energiebörsen übergangenen. «Heute ist klar, dass diese Politik ein absoluter Fehler ist.»

Auch der für Energiefragen zuständige Vize-Regierungschef Alexander Nowak betont, dass Russland trotz der Gewinne für die Staatskasse kein Interesse an solch hohen Gaspreisen habe. Wegen der hohen Kosten sieht Nowak vielmehr die Gefahr, dass sich der Übergang zu alternativen Energien in der EU beschleunigt. Russland will möglichst lange seine fossilen Energieträger Öl, Gas und Kohle nach Europa verkaufen.

Auch beim bis Freitag angesetzten St. Petersburger Internationalen Gas-Forum war die angespannte Lage ein Thema. Die Vorwürfe aus der EU, Russland manipuliere den Gaspreis, «um die Ostseepipeline Nord Stream 2 schneller mit Gas zu füllen, sind haltlos und absurd», sagt Rainer Seele, der Präsident der Deutsch-Russischen Auslandshandelskammer (AHK). Gazprom liefere die vereinbarten Mengen, was auch Kanzlerin Angela Merkel in dieser Woche hervorhob.

Seele war lange Chef der Energieunternehmen Wintershall Dea und OMV, zwei der fünf europäischen Unternehmen, die Nord Stream 2 finanzierten. «Wer an kostengünstigem Gas für deutsche und europäische Haushalte und Industriebetriebe interessiert ist, sollte auf Kooperation statt auf Konfrontation mit Moskau setzen», meint er.

Auch er kritisiert, dass in der EU zu sehr auf «das freie Spiel von Angebot und Nachfrage gesetzt wurde». Durch den Verzicht auf langfriste Lieferverträge für Pipelinegas gebe es nun Risiken, «unter deren Folgen jetzt die europäische Industrie und Millionen privater Haushalte leiden». Deutschland verbraucht nach AHK-Angaben rund 87 Milliarden Kubikmeter Gas im Jahr, davon stammen 55 Prozent aus Russland.

Doch selbst wenn Russland nicht für den Anstieg der Energiepreise verantwortlich ist, stellt sich in Europa die Frage, ob das Land nicht vielleicht absichtlich Möglichkeiten ungenutzt lässt, damit sich die Lage entspannt. Der Gaspreis hat sich seit Jahresbeginn verzehnfacht. Doch noch macht Gazprom die Ventile nicht auf. Zuerst müssten die eigenen Speicher im Land aufgefüllt werden, weil ein womöglich kalter Winter bevorstehe, teilte das Unternehmen mit.

Klar ist, dass Russland eine EU-interne Diskussion über Klimaschutzmaßnahmen infrage stellt, um einen Ausstieg aus der Stromerzeugung mit fossilen Brennstoffen wie Gas möglichst weit hinauszuzögern. Auch EU-Staaten wie Polen kritisieren, dass die Energiepreise teilweise auf den CO2-Emissionshandel zurückzuführen seien. Dieser macht die Stromerzeugung mit fossilen Energieträgern teurer, um Unternehmen zur Einsparung von Kohlenstoffdioxid zu bewegen.

In der EU drehen sich die Diskussionen deswegen vor allem um die Frage, wie in Zukunft starke Schwankungen bei den Energiepreisen vermieden werden könnten. Die Europäische Kommission will in der kommenden Woche Handlungsoptionen vorschlagen. So ist denkbar, dass EU-Länder beim Einkauf von Gas zusammenarbeiten oder zumindest gemeinsame strategische Reserven anlegen. Erste Richtungsentscheidungen könnten in rund zwei Wochen beim nächsten regulären EU-Gipfel fallen.

Ins Gewicht fallen dürfte dabei, wie groß die Gefahr eingeschätzt wird, dass es in Zukunft erneut zu starken Preisanstiegen kommen könnte. Experten wie die EU-Energiekommissarin Kadri Simson rechnen derzeit damit, dass die Preise ab dem Frühling nach und nach fallen dürften. Für die derzeitige Situation ist demnach der weltweite Energiehunger nach der Corona-Krise verantwortlich. Hinzukommen geschrumpfte Gasvorräte nach dem ungewöhnlich kalten Winter, geringere Gaslieferungen wegen Instandhaltungsarbeiten an Pipelines und ein Rückgang der Gasproduktion in Europa.

Von Ulf Mauder und Ansgar Haase, dpa

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