Schon seit Monaten rührt das Team des inhaftierten Kremlgegners Alexej Nawalny die Werbetrommel für den Dokumentarfilm über den Giftanschlag auf Russlands bekanntesten Oppositionellen.
Nun kommt der Streifen des kanadischen Regisseurs Daniel Roher, der nah an Nawalny während seiner Genesung in Deutschland dran war, am 5. Mai in die Kinos und eröffnet schon am Vortag das Dok.fest in München.
Roher hat den Gegner von Kremlchef Wladimir Putin im Schwarzwald getroffen, als Nawalny sich dort von dem Anschlag mit dem chemischen Kampfstoff Nowitschok erholte. Roher sprach mit ihm auch über die tödlichen Gefahren für Kremlgegner in Russland.
Ein mutiger Kämpfer
Entstanden ist ein Zeitzeugnis über den Mut eines Kämpfers, der trotz Tiefschlägen, Haft und Lebensgefahr immer wieder aufsteht gegen Korruption und himmelschreienden Machtmissbrauch. In Spielfilmlänge wird erzählt, wie Nawalny, der Massen mobilisieren kann und flammende Reden hält, zu einem politischen Problem wird für den Kreml. Erst wird er eingeschüchtert – gezeigt werden Aufnahmen eines früheren Anschlags. Dann soll er ganz aus dem Weg geräumt werden.
Dabei dreht sich der Film vor allem um den Mordanschlag vom 20. August 2020. Ein Killerkommando des einst von Putin geführten Inlandsgeheimdienstes FSB soll das tödliche Nervengift in einem Hotelzimmer in Sibirien auf einer Unterhose Nawalnys aufgetragen haben. Nur knapp entkommt Putins Gegner damals dem Tod.
Zentral im Film ist eine bereits international beachtete Szene, in der Nawalny selbst mit einem der mutmaßlichen Täter telefoniert. Er gibt sich als Assistent von Sicherheitsratssekretär Nikolai Patruschew aus – und entlockt dem Mann ein ausführliches Geständnis. Vieles des im Film dokumentierten Materials ist schon Teil der internationalen Berichterstattung über das Verbrechen gewesen. Erzählt wird der Kriminalfall aber nun als packender Polit-Thriller.
Roher hat auch den bekannten Enthüllungsjournalisten Christo Grozev getroffen, der erklärt, wie das Netzwerk Bellingcat den mutmaßlichen Attentätern auf die Spur gekommen ist. Der Bulgare erzählt, dass er Nawalnys Rolle in der russischen Politik erst mit Skepsis verfolgte. Konfrontiert wird der Politiker auch mit seiner Vergangenheit, als er mit Rechtsradikalen marschierte in Moskau. Doch der Mordanschlag bleibt stets der rote Faden.
Was sagt Putin?
Der Journalist Grozev hilft bei den Ermittlungen in einem Verbrechen, das der russische Staat bis heute zurückweist. Putin selbst wird in einer Sequenz gezeigt, wie er sich auf einer Pressekonferenz äußert zu den Mordvorwürfen Nawalnys, den er nie beim Namen nennt: «Wenn das jemand gewollt hätte, dann hätte er das auch zu Ende geführt.» Kremlgegner sahen darin ein Geständnis. Trotz der Gefahr kehrte Nawalny nach Moskau zurück und wurde nach Umleitung des Flugzeugs noch auf dem Flughafen festgenommen, wie der Film zeigt.
Inzwischen soll Nawalny eine nach umstrittenen Prozessen mittlerweile auf neun Jahre gewachsene Haft im Straflager absitzen. Der Film zeichnet eindringlich das Schicksal des 45-Jährigen, der russischer Präsident werden will. Greifbar wird aber auch, welche Opfer die ganze Familie für den politischen Kampf bringt. Zu Wort kommen Nawalnys Frau Julia, sein Sohn Sachar und seine erwachsende Tochter Dascha, die weinend stolz darauf ist, dass ihr Vater bereit ist, sein Leben für ein freies Russland zu geben.
Besonders dramatisch dabei sind jene erstmals so gezeigten Szenen von Julia Nawalnajas Angst um ihren Mann im Krankenhaus. Sie muss sich gegen russische Sicherheitsbeamte durchsetzen, die sie nicht vorlassen wollen zu dem zeitweilig bekanntesten Patienten des Landes.
Merkel besucht Nawalny
In packenden Aufnahmen zeigt Roher in seinem Film die spektakuläre Rettung Nawalnys, der auf einem Flug von der sibirischen Stadt Tomsk nach Moskau schreiend zusammenbricht. Der Pilot bringt die Maschine in Omsk auf den Boden; ein Rettungswagen transportiert Nawalny ins Krankenhaus. Seine Frau bittet letztlich Putin, einen Rettungsflug nach Deutschland zu genehmigen. Auch die damalige Kanzlerin Angela Merkel, die Russland für das Verbrechen in der Verantwortung sieht, besucht Nawalny in der Charité in Berlin.
Es folgten Sanktionen des Westens. Aber Russland bestreitet bis heute, dass es das von verschiedenen Labors nachgewiesene Nervengift Nowitschok besitzt. In Rohers Dokumentarfilm ist auch die Produktionsstätte für den tödlichen Kampfstoff zu sehen. Genannt werden die Entwickler des Gifts und frühere Opfer.
Der Kinostart nun fällt in eine Zeit, da Putin seinen wichtigsten Gegner ins Straflager hat verbannen lassen, nach Einschätzung vieler Experten Russland zur Diktatur umbaut und einen Angriffskrieg gegen die Ukraine führt. Nawalny hat aus der Haft das Blutvergießen in der Ukraine scharf verurteilt – als «Krieg eines tollwütigen Verrückten». Putin müsse gestoppt werden. «Er braucht den Tod, den Krieg und Lügen wie Drogen, um sich an der Macht zu halten», schrieb er bei Instagram.
Er rief seine Landsleute auf, keine Angst zu haben und gegen den Krieg zu protestieren. Nichts zu tun, sei das Schlimmste. Tausende sind wegen ihrer Kritik am Krieg in Russland zuletzt festgenommen worden. Nawalnys Anhänger werden indes als Extremisten verfolgt.
Doch sein Team hat sich längst im Ausland neu aufgestellt. Es kämpft aus dem Exil mit der Anti-Corruption Foundation weiter und veröffentlicht bei Youtube viel beachtete Enthüllungsvideos über Russlands Staatsdiener, die sich im Amt bereichern.
Nawalny, USA 2022, 99 Minuten, FSK ab 12, von Daniel Roher, mit Alexej Nawalny