Der Friedrichstadt-Palast, Berlins größte Glitzerkiste, ist wieder geöffnet, da gibt es viel zu gucken, auf der Bühne und daneben.
Tom Neuwirth, besser bekannt als Conchita Wurst, kommt im schwarzen Abendkleid, das die halbe Brust freilegt. Neben ihm posiert der französische Modemacher Jean Paul Gaultier. Dann erscheint Dieter Hallervorden. Sven Marquardt, der tätowierte Türsteher aus dem «Berghain», ist auch da. Gaultier plaudert im Saal mit der Berliner SPD-Spitzenkandidatin Franziska Giffey. Wirklich fantastisch, sagt sie. «Allein die Kostüme!» Die Show sei Balsam für die Seele, findet Giffey.
«Arise» heißt das neue Spektakel im Berliner Friedrichstadt-Palast, das am Mittwochabend seine offizielle Premiere feiert. Anderthalb Jahre lang musste die Bühne wegen der Corona-Pandemie pausieren. Die letzte Premiere, damals mit der Show «Vivid», ist fast drei Jahre her.
Nun also endlich wieder Glitzer und Konfetti, Licht- und Bühnenbombast. Intendant Berndt Schmidt will dem Publikum «ein beglücktes Strahlen ins Gesicht zaubern», die Show sei wie ein neues Leben. «Verlieben Sie sich!», schreibt er in der Einladung. Schon vor der Vorstellung gibt es viel Applaus. «Sie ahnen nicht, wie sehr wir das vermisst haben», sagt Schmidt zur Begrüßung. Er spricht angesichts der mühsamen Corona-Zeit von einem «Theaterwunder» und bedankt sich für die staatliche Hilfe.
Corona, der Wahlkampf, der nieselgraue Spätsommer, das ist für zweieinhalb Stunden weit weg. Ein Gefühl zwischen Fernsehgarten und Las Vegas. Der zu DDR-Zeiten gebaute Friedrichstadt-Palast war früher Schauplatz für die Sendung «Ein Kessel Buntes», noch heute ist er bei Touristen beliebt. Bei «Arise» machen 100 Künstler und Künstlerinnen aus 26 Ländern mit, das Budget liegt bei elf Millionen Euro.
Jean Paul Gaultier hat vor einigen Jahren die Kostüme für eine andere Show entworfen. «Für mich ist es sehr emotional, zurückzukommen», sagt er. Tom Neuwirth hat hinter den Kulissen an zwei Liedern mitgewirkt. Die Kostüme hat diesmal der italienische Designer Stefano Canulli entworfen.
Bei der Premiere wird improvisiert: Hauptdarsteller Frank Winkels und dessen Vertretung fallen krankheitsbedingt aus. Tänzer Dimitri Genco springt wacker ein, er bewegt zum Gesang nur die Lippen. Sonst sei alles live, beteuert Intendant Schmidt.
Wer den Eurovision Song Contest mag oder gerne Eiskunstlauf guckt, wird an den Glamour-Profis seinen Spaß haben. Die berühmte «Girlreihe», wenn die Tänzerinnen die Beine hochwerfen, ist natürlich auch wieder dabei. Dutzende Frauen, die alle gleich aussehen, perfekt choreografiert, das bleibt hängen.
Die Handlung ist nicht so wichtig. Nicht umsonst umwirbt das Theater internationale Gäste damit, dass man hier kein Deutsch können muss. Der Titel «Arise» heißt so viel wie «sich erheben». Es geht um einen Fotografen namens Cameron, der seine Muse verliert. Als er alte Bilder an der Wand sieht, werden Erinnerungen an die gemeinsame Zeit wach, dunkle Gedanken verfolgen ihn, eine Achterbahn-Reise beginnt. Die Botschaft: «Liebe ist stärker als die Zeit.»
Der Bilderreigen unter der Regie von Oliver Hoppmann reicht von Maskenball-Kostümen bis zum Fantasie-Aquarium mit sprudelnden Wasserbecken. Akrobaten schwingen waghalsig an Trapezen und Schaukeln durch die Luft, das Orchester lässt es krachen. «Mega» sei die Show, sagt eine Zuschauerin. Nur das Publikum sei doch etwas eingerostet. Beim Schlussapplaus klingt es aber nicht danach.