Inmitten wachsender Sorgen um die Entwicklung der Weltwirtschaft wegen des Energiepreis-Schocks trifft sich ab Montag die internationale Nutzfahrzeug-Branche in Hannover.
Das Geschäft mit Lastwagen und Transportern gilt als wichtiger Konjunkturindikator – die Stimmung bei der IAA Transportation wird daher auch die Erwartungen an die kommenden Monate widerspiegeln. Neben den enorm gestiegenen Kosten für Strom, Gas und Sprit durch den Ukraine-Krieg müssen viele Hersteller ihre Investitionspläne im Blick behalten.
Höhere Anforderungen an den Klimaschutz und verbesserte Technologien führen dazu, dass das Angebot an Elektro- und Wasserstoffantrieben auch bei Lkw und Bussen allmählich größer wird. Weitere inhaltliche Schwerpunkte der Messe sind digitale Vernetzung und Logistikkonzepte. Es gibt mehrere Thementage, etwa zu Handel und kommunalem Transport.
Eröffnung am Dienstag
Nach einem Pressetag am Montag wird die Ausstellung am Dienstag offiziell eröffnet. Sie dauert bis Sonntag (25.9.). Nach Angaben der Organisatoren vom Verband der Automobilindustrie (VDA) haben sich mehr als 1400 Aussteller aus 42 Ländern in der niedersächsischen Landeshauptstadt angekündigt. Vertreten sind unter anderem Daimler, MAN, Scania, Volkswagen, Renault, Volvo, Iveco, Ford, Kässbohrer oder Schmitz Cargobull sowie Bosch, Schaeffler und Continental.
Die Veranstalter zeigten sich vorab zuversichtlich, nach dem Komplettausfall im ersten Corona-Jahr 2020 auch wieder viele Besucher nach Hannover locken zu können. Gleichzeitig plagen die Autoindustrie große Unsicherheiten. «Der Ausblick für das aktuelle Jahr trübt sich zunehmend ein», sagte VDA-Chefin Hildegard Müller zur Inflation der Rohstoffpreise und zu drohenden neuen Lieferkettenproblemen.
Neu dabei sind Lastenfahrräder, die Messegäste ebenso testen können wie mehr als 60 motorisierte Nutzfahrzeuge. Vorgestellt werden auch Wasserstoff-Tankstellen und Lieferroboter. Die IAA Transportation findet alle zwei Jahre und im Wechsel mit der IAA für Pkw statt.
Transportnachfrage noch stark
Der Chef der Volkswagen-Nutzfahrzeug-Holding Traton sieht trotz aufziehender Konjunktursorgen prinzipiell weiter gute Geschäftschancen für die wichtige Branche. «Grundsätzlich bleibt die Transportnachfrage in allen Märkten auf einem sehr, sehr hohen Niveau», sagte der Vorstandsvorsitzende Christian Levin am Montag auf der IAA-Nutzfahrzeugemesse in Hannover im Gespräch mit den Nachrichtenagenturen dpa und dpa-AFX. Die VW-Konzernmarken MAN, Scania und Navistar hätten weitgehend vernetzte Flotten auf der Straße, an deren Daten man die Aktivitäten der Kunden ablesen könne.
Selbst alte Fahrzeuge würden derzeit in starkem Maße genutzt – in normalen Zeiten seien diese eher Ersatz, falls andere Fahrzeuge ausfallen. «Aktuell fahren die rund um die Uhr», fügte der Manager hinzu. In der Nähe der Grenze zu Russland sehe man dagegen Zeichen für weniger Aktivität. Grenzverkehr gebe es dort nicht mehr, auch fehlende ukrainische Fahrer hätten einen Einfluss auf die Lage. Neben diesem regionalen Effekt gebe es beim Einsatz im Baugewerbe einen kleinen Rückgang, dieser sei allerdings nicht besorgniserregend.
«Es ist ein seltsames Gefühl», fasste Levin die augenblickliche Stimmung zusammen. Auch Traton zahle mehr für Stahl, Aluminium, Energie, Kunststoffe und Transport. Das Auftragsbuch reiche noch für über ein Jahr. «Aber das lässt uns sicherlich nicht gut schlafen», ergänzte er. Bislang könnten auch die Spediteure ihre Preise noch anheben – doch irgendwann werde die Konjunktur wieder abebben. Achtgeben müsse man auf die Entwicklung der Transportnachfrage.
Ladeinfrastruktur größeres Problem
Generell sieht der Traton-Chef die Frage einer künftig hinreichenden Ladeinfrastruktur auch für schwere E-Nutzfahrzeuge als ein größeres Problem an als die derzeit hohen Energiepreise. Gewöhnlich bleibe der elektrische Antrieb perspektivisch im Vorteil bei den über die Laufzeit anfallenden Gesamtkosten – wenn denn Speditionen bei Touren entsprechend laden könnten und die Ausfallzeiten nicht zu hoch seien.
Wasserstoffantriebe hält Levin in größerem Umfang noch nicht für massenmarkttauglich. Sie seien jedoch ein Zukunftsthema. Bis 2030 könne sich der Marktanteil von Brennstoffzellen-Nutzfahrzeugen in Europa bei 10 Prozent einpendeln, schätzt er. Reisebusse könnten eine interessante Anwendung sein, dort falle der recht hohe Energieverlust über verschiedene Stufen auf der Langstrecke nicht so ins Gewicht.
China will Traton neben Amerika und Europa zur dritten zentralen Marktregion ausbauen, mit steigenden Anteilen lokaler Fertigung von bis zu 80 Prozent. «Wir müssen dort ein komplettes System aufbauen», sagte Levin zur Verzahnung von Einkauf, Produktion und Vertrieb.
Wasserstoff-Durchbruch bei schweren Lastwagen dürfte dauern
Die mit Wasserstoff betriebene Brennstoffzelle dürfte für den großflächigen Einsatz im Schwerlastverkehr nach Einschätzung des MAN-Chefs noch eine gewisse Zeit brauchen. «Grüner Wasserstoff ist knapp», sagte Alexander Vlaskamp auf der Nutzfahrzeugmesse IAA in Hannover.
Zudem gingen derzeit etwa zwei Drittel der gesamten Energiemenge über die einzelnen Umwandlungsstufen verloren. Reiner Wasserstoff muss zunächst – idealerweise mit Ökostrom – selbst energieintensiv aus Verbindungen wie Wasser oder Ammoniak gewonnen werden. Bei seiner Wiederverbrennung, im angeschlossenen E-Motor sowie bei der auf den Antriebsstrang übertragenen Bewegung fließt weitere Nutzenergie ab.
Wohl frühestens Anfang oder Mitte der 2030er Jahre könnten Brennstoffzellen-Lkw in großen Stückzahlen rentabel verwendet werden, schätzt Vlaskamp. «Aus diesem Grund konzentrieren wir uns jetzt erst einmal auf batterieelektrische Lastwagen.» Der Vorstandschef der Münchner VW-Tochter bekräftigte das Ziel, dass etwa ab 2025 die Gesamtbetriebskosten für Batterie-Lkw im Schnitt zu denjenigen dieselgetriebener aufschließen könnten – oder auch darunter liegen.
Oft werde die E-Mobilität bisher nur mit dem Umbruch des Pkw-Geschäfts verbunden, meinte Vlaskamp. Aber: «Der Wandel zur klimaneutralen Mobilität schreitet mit zunehmendem Tempo voran. Die Lastwagenbranche wird folgen.»