Mit einer voll automatisiert und auch aus laufender Fahrt schießenden Radhaubitze verspricht der Panzerbauer KNDS der Bundeswehr und anderen Streitkräften Vorteile auf dem Gefechtsfeld. Zudem sollen bei dem neuen Artilleriesystem zwei Soldaten als Besatzung ausreichen.
«Das ist das Minimale, was möglich ist, und es ist auch ganz gut operativ umsetzbar. Im Wesentlichen ist es der Fahrer und der Geschützkommandant», sagte Till von Westerman, bei KNDS Deutschland verantwortlich für den Geschäftsbereich Kampfsysteme, der Deutschen Presse-Agentur auf dem Truppenübungsplatz Altengrabow in Sachsen-Anhalt. Dort wurde das Waffensystem RCH 155 am Mittwoch und Donnerstag präsentiert.
KNDS ist ein Zusammenschluss der deutschen Traditionsfirma KMW sowie des französischen Rüstungsunternehmens Nexter und stellt auch die auf Ketten rollende Panzerhaubitze 2000 her. Diese ist in mehreren Nato-Armeen eingeführt und hat fünf Soldaten als Besatzung. Das Waffensystem – ein schweres Geschütz auf einem gepanzerten Kettenfahrzeug – ermöglicht höchste Geländegängigkeit. Allerdings ist auch ein erhöhter Aufwand beim Transport mit der Bahn oder auf Tiefladern über weitere Strecken nötig. Dagegen kann die neue Radhaubitze auch auf weitere Strecken mit Tempo 100 zum Ziel gefahren werden.
Entwickler sehen viele Vorteile
Die Entwickler stellen für das System – erster Kunde ist die Ukraine – mehrere Vorteile heraus. So könne die Haubitze ohne Vorbereitungen und Abstützungen sofort und in alle Richtungen schießen. Der Geschützturm ist fernbedienbar und damit auch von außerhalb zu steuern. Wichtiger noch: Die Radhaubitze könne aus der Fahrt heraus schießen. Die Schwierigkeit ist dabei, Bewegungen des Fahrzeugs in der Waffenanlage auszugleichen und noch sicher zu treffen. Die Haubitze kann damit insgesamt betrachtet deutlich mehr schießen, wenn nötig. Genannt wird der Faktor drei bis vier. Und die Besatzung entzieht sich mit der Bewegung auch Gegenangriffen auf die letzte eigene Feuerposition.
«Der Hauptfeind der eigenen Artillerie ist die gegnerische Artillerie», sagt von Westerman dazu. Artilleriebesatzungen mit guten Systemen schafften es, binnen zwei Minuten das Gegenfeuer zu platzieren. «Wenn sie aber fahren, haben sie sich in zwei Minuten gut tausend Meter von Ihrer letzten Feuerstellung entfernt und sind praktisch durch die gegnerische Artillerie nicht mehr zu treffen. Das erhöht ihre Überlebenswahrscheinlichkeit dramatisch.»
Werde nun moderne, steuerbare Munition («endphasengelenkte Artillerie-Munition») verwendet, nehme der Vorteil gegenüber einem Gegner zu. Nach einer hauseigenen Simulation des Rüstungsunternehmens könnte ein Verband mit den neuen Haubitzen gegen einen – die Zahl der Panzer betreffend – fünffach überlegenen Gegner bestehen. Das Gesamtpaket habe das Potenzial, die Kriegsführung zu verändern.
Erprobung im Kampf im nächsten Jahr
Die Radhaubitzen haben ein Gefechtsgewicht von rund 39 Tonnen und können mit aktuell verfügbarer Munition deutlich über 50 Kilometer weit schießen. Neun Schuss pro Minute seien möglich. Aktuell wird Munition entwickelt, die bald bis 70, später auch bis 100 Kilometer weit schießen kann. Als Grundpreis werden etwa 10 Millionen Euro genannt, doch bestimmen die bestellte Zahl und das Gesamtpaket die Einzelkosten im Rüstungsgeschäft wesentlich.
Im kommenden Jahr soll die Ukraine die ersten der neuen Radhaubitzen erhalten. Insgesamt wird dem Vernehmen nach eine Lieferung von 54 der Waffensysteme vorbereitet. Sie werden dann womöglich – so ist die Lage jedenfalls seit Monaten – in eine relativ statische Gefechtslage eingeführt an einer Front, die mit Aufwand befestigt ist. «Sie haben dort einen Todesstreifen, fast ähnlich wie im Ersten Weltkrieg, nur ist er nicht ein paar hundert Meter tief, sondern eher über 10 bis 15 Kilometer», sagt von Westerman dazu. Weitreichende Artillerie sei dann der entscheidende Faktor. Er meint: «Für die Ukrainer könnte das ein entscheidendes Momentum ergeben, die Initiative wieder erneut zu ergreifen. Es ist nur ein Element, aber es könnte ein entscheidendes Element sein.»