Seit Johnny Cash im September 2003 starb, sind posthum vier Alben mit seiner Musik erschienen. Mehr als zwei Jahrzehnte nach dem Tod des «Man in Black» könnte man annehmen, dass mittlerweile alle wesentlichen Aufnahmen von ihm veröffentlicht wurden. Doch immer wieder taucht noch etwas Altes auf. Sein Sohn John Carter Cash entdeckte bislang unveröffentlichte Demoaufnahmen aus dem Jahr 1993, aus denen ein weiteres Johnny-Cash-Album entstand.
«Songwriter» heißt die neue Zusammenstellung mit elf Songs. «Hello Out There», singt Johnny Cash in dem gleichnamigen, atmosphärischen Auftaktsong und es wirkt fast so, als würde er sich aus dem Jenseits melden. Der Sound ist unverkennbar Cash. Seine charismatische Stimme war zu Beginn der 90er Jahre noch kraftvoll, die Karriere der Country-Legende schwächelte hingegen.
Cash stand nicht bei einer Plattenfirma unter Vertrag und hatte entsprechend keine vertraglichen Verpflichtungen, als er die über Jahrzehnte geschriebenen Eigenkompositionen als Demos aufnahm. Kurz nach diesen Sessions begann er mit Starproduzent Rick Rubin die ikonische American-Recordings-Reihe, die seine Karriere wiederbelebte. Die Demos wurden bis auf zwei Songs nie genutzt. Bis jetzt.
Schon vor einigen Jahren hatte sein Sohn mit ausgegrabenen Sessions aus den 80er Jahren das Album «Out Among The Stars» produziert. Ähnlich ging Carter Cash nun auch bei «Songwriter» vor. Er sezierte die Aufnahmen und reduzierte sie auf Gesang und Gitarre. «Was den Sound angeht, sind wir zurück zu den Wurzeln gegangen», sagte Carter Cash dem US-Magazin «Variety», «und haben versucht, es nicht übermäßig zu optimieren. Wir haben es so aufgebaut, als wäre Dad im Raum.»
Alte Weggefährten wirkten mit
Dann lud Carter Cash alte Weggefährten seines Vaters und andere Musiker in dessen früheres Heimstudio «Cash Cabin» in Hendersonville/Tennesse ein, um die Songs zu komplettieren. Neben dem Gitarristen Marty Stuart, dem vor einem Jahr gestorbenen Bassisten Dave Roe sowie Schlagzeuger Pete Abbott wirkten unter anderem Dan Auerbach von den Black Keys und der mit 22 Grammys ausgezeichnete Country-Star und heutige Eagles-Musiker Vince Gill an der Fertigstellung von «Songwriter» mit. Eine hochkarätige Besetzung.
«Songwriter» lässt Cashs Stil der 50er und 60er Jahre und spätere Karrierephasen aufleben. Nicht nur wegen seiner unverkennbaren Stimme hat die Musik den klassischen, markanten Johnny-Cash-Sound. Carter Cash holte den renommierten David Ferguson als Co-Produzenten dazu. «Fergie» arbeitete mehr als 30 Jahre lang mit Johnny Cash zusammen und war bis zuletzt bei den Sessions mit Rick Rubin als Toningenieur involviert.
Viel Herz und eine Prise Humor
Doch anders als die eher gewichtigen, melancholischen und teils schwermütigen Rubin-Werke ist «Songwriter» locker und launig. Die elf Songs haben viel Herz und eine Prise Humor – zum Beispiel, wenn Cash in «Well Alright» zweideutig über die Begegnung mit einer Frau in einem Waschsalon singt, aus der schließlich eine Ehe wird. «Will we make the millennium?», fragt er in der Country-Ballade «I Love You Tonite». «Well, we might. I love you tonight.»
Posthume Veröffentlichungen sind nicht unumstritten. Während einige argumentieren, dass das, was Künstler nicht selbst veröffentlicht haben, nicht von anderen im Nachhinein auf den Markt geworfen werden sollte, freuen sich andere, dass auch Jahre nach dem Tod eines geliebten Künstlers noch neue Musik von ihm erscheint.
Im Fall von «Songwriter» ist die Sachlage wohl eher so, dass die Songs damals nicht veröffentlicht wurden, weil Plattenfirmen kein Interesse an dem Material hatten und nicht erwarteten, dass sich damit Geld verdienen ließ. Vermutlich hätte ein solches, klassisches Album damals – vor Johnny Cashs überraschendem Comeback – auch kaum Aufmerksamkeit erfahren. Das ist heute natürlich anders.
Johnny Cash war ein überragender Songwriter und Musiker. Wenn nach so vielen Jahren noch ein knappes Dutzend weitestgehend ungehörter Lieder dieser Qualität von ihm erscheinen, darf man das guten Gewissens erfreulich finden – oder ansonsten einfach ignorieren. Die Songs in der Schublade zu lassen, wäre eine Verschwendung gewesen.