Neubauwohnungen im Münchner Stadteil Freiham. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Carsten Hoefer/dpa)

Der Wohnungsbau in Deutschland steht nach Einschätzung von Branchenverbänden 2023 vor einem Einbruch. Hauptgründe sind Materialmangel und ein rasanter Anstieg der Kosten, bedingt durch Corona-Pandemie und Ukraine-Krieg.

Dies macht die Kosten neuer Bauvorhaben sowohl für die auftraggebenden Wohnungsunternehmen, als auch für viele ausführende Baufirmen und Handwerker unkalkulierbar, wie es übereinstimmend in Wohnungs- und Baubranche heißt. «Da wird es Einbrüche geben, und zwar ganz deutliche», sagt Hans Maier, Direktor des Verbands der bayerischen Wohnungswirtschaft (vdw), der Deutschen Presse-Agentur.

Das stimmt mit der Einschätzung des norddeutschen Schwesterverbands VNW überein: «86 Prozent der Wohnungsgenossenschaften und der sozial orientierten Wohnungsgesellschaften in Norddeutschland schätzen die Aussichten für den Neubau derzeit als schlecht beziehungsweise als sehr schlecht ein», sagt ein VNW-Sprecher in Hamburg.

«60 Prozent wollen deshalb den Start von Neubauprojekten verschieben beziehungsweise sind noch unsicher.» Beide Verbände vertreten überwiegend sozial orientierte Vermieter wie Genossenschaften und kommunale Wohnungsgesellschaften.

Viele Aufträge, keine Rohstoffe

Derzeit bauen die Wohnungsunternehmen trotz Kostensteigerungen landauf, landab noch fleißig. So auch Deutschlands größtes Wohnungsunternehmen Vonovia in Bochum und dessen hauseigener Bauträger Buwog Development: «Doch da die Buwog mit ihren Nachunternehmern zumeist Festpreise vereinbart, haben solche Preisschwankungen normalerweise keine kurzfristigen Auswirkungen auf unser Neubaugeschäft oder die Preise der aktuell angebotenen Eigentumswohnungen», sagt Buwog-Geschäftsführerin Eva Weiß.

Mittel- und langfristig sind die Aussichten jedoch unerfreulich. In einer kürzlich veröffentlichten Umfrage des Hauptverbands der deutschen Bauindustrie klagten 90 Prozent der Unternehmen über Preissteigerungen, 80 Prozent über Lieferengpässe. Demnach geben Baustofflieferanten für viele Materialien derzeit nur noch tagesaktuelle oder gar keine Preise mehr an.

«Es ist eine Situation, wie wir sie noch nie hatten», berichtet ein Sprecher des Landesverbands der bayerischen Bauinnungen in München. «Wir haben eine Riesen-Auftragswelle, und gleichzeitig fehlen die Rohstoffe. Wir haben alle acht Wochen massivste Preissteigerungen.»

Teilweise nicht verfügbar sind nach Angaben von Bau- und Wohnungsbranche demnach Stahl und Stahllegierungen, das in vielen Baumaterialien eingesetzte Aluminium und Holz. Knapp sind demnach Dämmstoffe ebenso wie das für den Straßenbau wichtige Bitumen, es gibt Engpässe und massive Teuerung auch bei Fliesen und Keramik.

Festpreise bringen Bauunternehmen in Bedrängnis

Bauherren und Baufirmen vereinbaren in ihren Verträgen in der Regel vor Baubeginn Festpreise. Wenn die Materialkosten so schnell steigen wie derzeit, laufen die Bauunternehmen Gefahr, am Ende trotz voller Auslastung Verluste zu machen. Um roten Zahlen vorzubeugen, bewerben sich viele Firmen deswegen nicht mehr um neue Aufträge: «In der Konsequenz geben über 30 Prozent der Bauunternehmen keine neuen Angebote mehr ab», heißt es beim Bauindustrie-Hauptverband.

«Ich fürchte einen deutlichen Rückgang des Wohnungsneubaus in Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein und Hamburg», sagt VNW-Direktor Andreas Breitner mit Blick auf seinen norddeutschen Beritt. «Aufgrund der langen Vorlaufzeiten wird auf dem Bau noch in diesem und nächsten Jahr fertiggestellt und spätestens 2024/25 ist Schluss.»

Und im Süden: «Wir hatten im Jahr 2021 Rekordfertigstellungszahlen, wir werden im Jahr 2022 gute Fertigstellungszahlen haben, und wir werden einen Einbruch im Jahr 2023 erleben», prophezeit Breitners bayerischer Amtskollege Maier.

Das Problem betrifft nicht nur den Hoch-, sondern auch den Tiefbau – also neue Straßen, Tunnels und Eisenbahn. Bund und Länder versuchen, den Bauunternehmen mit Hilfe sogenannter Preisgleitklauseln entgegen zu kommen. Dies erlaubt es Baufirmen, Preise auch nach Vertragsabschluss nachträglich zu erhöhen.

Keine Besserung in Sicht

Damit werden Kostensteigerungen an die Bauherren weitergegeben. Ein Beispiel ist die Autobahn GmbH des Bundes. «Aktuell geht die Autobahn GmbH davon aus, dass die für das Jahr 2022 geplanten Bauprojekte realisiert werden können», sagt ein Sprecher. «Bei den neuen Ausschreibungen werden bereits Preisgleitklauseln angewendet, wenn dies haushaltsrechtlich zulässig ist.»

Besserung ist derzeit nicht in Sicht: «Die Gefahr einer Verknappung von Baustoffen besteht überall dort, wo die Länder Russland, Ukraine und Belarus in der Prozesskette mit vorkommen», sagt eine Sprecherin des Münchner Mischkonzerns und Baustoffhändlers Baywa.

Abgesehen vom Ukraine-Krieg kommen zusätzliche schlechte Nachrichten für die deutsche Baubranche aus Ostasien. Die drakonische Corona-Politik in China und der Lockdown in Shanghai könnten die internationalen Lieferketten nach Einschätzung von Ökonomen noch weiter in Unordnung bringen. Der Großraum Shanghai ist die Herzkammer der chinesischen Wirtschaft, der Hafen der größte Containerhafen der Welt.

Von Carsten Hoefer, dpa

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