Monchi (Jan Gorkow) hat viel abgenommen und schreibt über seine Zuckersucht. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Bernd Wüstneck/dpa)

Sein Gewicht hat Monchi nie von etwas abgehalten. Der Frontmann der Punkband Feine Sahne Fischfilet trommelte bei Konzerten auf seinem großen Bauch herum. Riss sich selbstbewusst das 6XL-Shirt herunter. Oder ließ sich in die Menge vor der Bühne fallen.

Die Wampe war sein Markenzeichen. Innerhalb eines Jahres hat der 34-Jährige mehr als 65 Kilogramm abgenommen. Und nun ein Buch geschrieben – über das Fettsein und den ständigen Kampf gegen die Maßlosigkeit.

«Es ging mir nicht darum, ein Fitness-Guru-Buch zu schreiben», sagt Monchi im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. Wenn es Menschen motiviere, dann sei das schön. In erster Linie gehe es aber um ihn und sein Übergewicht. Und um die zentrale Frage: Wie kam es dazu?

Monchi heißt mit bürgerlichem Namen Jan Gorkow. Seit 2007 singt und textet er bei Feine Sahne. In den vergangenen Jahren legten die Musiker aus dem äußersten Nordosten Deutschlands einen steilen Aufstieg hin: Was in Jugendzentren begann, führte sie bis auf die Hauptbühnen von Festivals wie Rock am Ring. Hinzu kam ihr politisches Engagement gegen Rechts. Mit der Popularität stiegen aber auch der Stress und die mediale Aufmerksamkeit. Für die Band stand daher bereits vor der Corona-Pandemie fest: 2020 wird ein Pausenjahr.

Schock beim Blick auf die Waage

An dieser Stelle setzt Monchis Buch ein. Im fränkischen Bamberg steht Ende 2019 das Tourfinale an – das letzte Konzert für ein Jahr. Ein «perverser Abriss» soll es werden. Doch davor schaut er sich in der Konzert-Location um. In einer Umkleidekabine der Basketball-Arena entdeckt er eine Waage. Er stellt sich auf sie. Das Ergebnis: 182 Kilo. Wie er nach dem Konzert ausrechnet, entspricht das bei seiner Größe einem Body-Mass-Index von 49,4. Oder Adipositas Stufe 3.

«In dem Moment habe ich gedacht: Krank, das ist ja mehr als Mutters und Fatters zusammen», sagt er. Ein Schock sei es gewesen, aber kein Erweckungserlebnis. Denn auch früher habe es solche Situationen immer wieder gegeben. Keins seiner Shirts habe mehr als zwei Festivalsommer gepasst. Monchi: «Verdrängen war meine Paradedisziplin».

Aber warum hat es gerade in diesem Moment mit dem Abnehmen geklappt? «Weil ich Ruhe hatte. Weil ich das allererste Mal richtig über mich nachdenken konnte – im Positiven wie im Negativen», erzählt Monchi. Sicher sei: «Hätten wir immer weiter Konzerte gespielt, hätte ich nicht abgenommen. Allein schon wegen des Buffets.» In den Monaten nach dem Tourfinale beginnt er, Sport zu treiben. Das erste Mal seit seiner Zeit im Jugendfußball. Er fährt Rad, später geht er auch Joggen. Und er entdeckt das Intervallfasten für sich.

Über die Zuckersucht

Gleichzeitig notierte er sich immer wieder Gedanken und Erfahrungen. Dabei sei ihm klar geworden: «Ich bin zuckersüchtig». Seine Störung mache sich vor allem in Stresssituationen bemerkbar. Essen sei für ihn dann Himmel und Hölle zugleich. «Weil daraus ganz schnell fressen wird. Es geht da nicht um ne Tüte Gummibärchen und ne Packung Kinderriegel. Sondern dann gibt es noch Eis, Bockwurst, Kirschjoghurt mit Pringles, Knoppers. Die völlige Eskalation», sagt er.

Nach und nach erkannte der Musiker Muster und Impulse bei sich – und kämpft seitdem dagegen an. Das klappe zwar nicht immer. Aber: «Jetzt sehe ich das alles. Früher war diese Selbstzerstörung Alltag, absolut normal». Nach dem Abnehmen lag sein bestes Gewicht bei 117 Kilogramm. Aktuell wiege er um die 125 Kilo. «Ich merke einfach, dass das ein Marathon ist. Jeder Tag ist ein Kampf», erzählt Monchi.

Im Buch «Niemals satt» schreibt sich der Sänger nach jedem Rückschlag seine Gefühle von der Seele. Er schildert Selbstzweifel, reflektiert sein Verhalten und macht seine Ängste zum Thema, so etwa die vor dem Jo-Jo-Effekt. Umgekehrt springen den Leser die Freude und der Stolz Monchis nach Erfolgen geradezu an. Mehrfach schleicht sich das Gefühl ein, dass sich gerade ein guter Freund das Herz ausschüttet.

Anekdoten aus der Kindheit

Dazu trägt auch seine jugendhaft-norddeutsche Sprache bei. Wie im persönlichen Gespräch beginnen die Sätze häufiger mit «Digger». An Wochenenden und nach Konzerten gibt es mit Bier und Schnaps «einen auf die Helme». Man «gönnt» sich eben. Und bei einer Schlägerei bekam eine jüngere Version Monchis «ganz einfach vor’n Mischer». Wie er selbst schreibt: «Das Echte und vermeintlich Hässliche finde ich tausendmal schöner als das vermeintlich Perfekte.»

In den Erfahrungsbericht baut Monchi zahlreiche Anekdoten ein. Über die Kindheit in Vorpommern. Über Oma Annemie und Opa Gerdi. Über die Sportlehrerin, die ihn vor der Klasse wiegen wollte. Über die Zeit in der Ultraszene des FC Hansa Rostock. Über die Liebe zum Baden. Über Eskapaden in der linken Szene und Vorstrafen. Über Schlägereien mit «Faschos». Über Trinkgelage bis zur Besinnungslosigkeit, Drogen und verbale Entgleisungen. Über Hasskommentare im Internet. Über die Band. Und über seine Eltern, die trotzdem zu ihm gehalten haben.

All jenen Herausforderungen, mit denen Adipositas-Patienten jeden Tag konfrontiert sind, hat Monchi eine eigene Kategorie gewidmet. Genannt hat er sie «Ich sehe was, was du nicht siehst». Es geht um Fahrräder, Klobrillen, Stühle und Betten, die unter dem Gewicht des Punksängers zusammengebrochen sind. Oder all die Probleme, die für «Menschen mit Format» mit einer Flugreise verbunden sein können.

Schonungslose Selbstkritik

Es sind die Stellen im Buch, an denen Monchi besonders oft von Scham schreibt. Zum Beispiel, wenn er während einer dreiwöchigen Probephase mit der Band in Schleswig-Holstein in einen «Naschrausch» verfällt – und das Süßigkeitenversteck plündert. Nur eine von vielen Szenen, die er mit schonungsloser Ehrlichkeit und Selbstkritik schildert.

Nicht nur der Musiker, sondern auch der Autor Monchi trägt sein Herz auf der Zunge – was seinen erstaunlichen Erfahrungsbericht und die biografischen Einschübe umso authentischer machen. Ob gewollt oder nicht: Er, der oft das Gefühl hatte, allein gegen sein Übergewicht zu kämpfen, hat mit seinem Erstlingswerk eine Bühne geschaffen. Nicht nur für sich selbst, sondern für viele «Menschen mit Format».

– Monchi: Niemals satt. Über den Hunger aufs Leben und 182 Kilo auf der Waage, Kiepenheuer & Witsch, Köln, Paperback, 320 Seiten, 18,00 Euro, ISBN 978-3-462-00259-1.

Von Julian Weber, dpa

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