Die Hamburger Rocker «Lord Of The Lost» haben den ESC-Vorentscheid gewonnen. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Rolf Vennenbernd/dpa)

Diesmal wird es laut und ein bisschen düster: Deutschland schickt die Rockband Lord Of The Lost zum Eurovision Song Contest (ESC) 2023.

Die Hamburger Gruppe, die mit blutroten Outfits, viel Schminke und noch mehr Dezibel auftrat, gewann in der Nacht zum Samstag den deutschen ESC-Vorentscheid in Köln. Sänger Chris Harms ließ sich von Moderatorin Barbara Schöneberger erstmal kneifen, um den Triumph verarbeiten zu können. «Ich bin wirklich sprachlos», sagte der Musiker. «Ich bin sonst relativ eloquent.»

Im Schnitt schauten die mehr als zweistündige Fernsehshow bis halb eins nachts nur etwa 2 Millionen Menschen im Ersten, weit weniger als in früheren Jahren für die Vorentscheide registriert wurde.

Die Band verdankte ihr Ticket zum ESC-Finale, das am 13. Mai in Großbritannien ausgetragen wird, vor allem dem Publikum. Es katapultierte die Rocker am Ende der ARD-Show «Unser Lied für Liverpool» an allen anderen Bewerbern vorbei auf den ersten Platz. Nach dem zunächst eingeholten Jury-Votum, das Fachleute aus acht Ländern abgegeben hatten, hatte es ganz und gar nicht nach einem Sieg der Combo ausgesehen. Da waren Lord Of The Lost nur auf dem fünften Platz gelandet. Publikums- und Jurystimmen machten je 50 Prozent aus.

Mit Blut und Glitzer zum ESC-Erfolg?

Die Band tritt mit dem Lied «Blood & Glitter» an – übersetzt «Blut und Glitzer». Entsprechend sah der ganze Auftritt aus. Knalliges Rot dominierte, dazu funkelte und glitzerte es. Sänger Chris Harms holte brachial alles aus seiner Stimme raus. Die Band, die Anfang des Jahres ein Nummer-eins-Album hatte, lässt sich dem Dark Rock zurechnen, vielleicht auch dem Heavy Metal. Unter anderem begleitete sie schon die Metal-Koryphäen Iron Maiden durch Europa. Bands aus einem ähnlichen Spektrum haben beim ESC bisweilen gut abgeschnitten – so gewannen etwa Lordi aus Finnland (2006) oder Måneskin aus Italien (2021).

Für Deutschland – das Land, das einst Mary Roos oder Katja Ebstein und oft eine Idee von Ralph Siegel entsandte – ist es eine ungewöhnliche Wahl. In den vergangenen Jahren schickte die Bundesrepublik meist geschmeidige Pop-Nummern zum ESC. Allerdings mit verheerenden Folgen: Seit 2015 hagelte es letzte oder vorletzte Plätze. Einzige Ausnahme war 2018 der Musiker Michael Schulte, der einen vierten Platz holte. Erstmals seit 2008 (damals No Angels) schickt Deutschland nun auch wieder eine Band und keinen Solo-Künstler.

Sänger Chris Harms will «noch mal einen drauflegen»

Der Sänger von Lord Of The Lost, Chris Harms, kündigte an, dass man bei der Bühnen-Show nun «natürlich noch mal einen drauflegen» werde. «Unsere Designerin ist gerade hochschwanger. Ich weiß nicht, ob sie es jetzt noch schafft, uns etwas zu nähen. Aber ich würde gerne das alles noch größer, noch glamouröser machen», sagte er. Dennoch: Es werde eine «Rock-Show» bleiben – ohne Tänzer oder aufwendige Choreo. Toll wäre aber zum Beispiel ein roter Pyro-Regen, meinte Harms.

Nächstes Wochenende will die Band allerdings zunächst an die Ostsee fahren, um auszuspannen und entspannt zu feiern. «Wir fahren in ein Wellness-Hotel, gehen in die Sauna, gehen schwimmen und lecker essen», kündigte Harms an. «Und achten an diesem Wochenende nicht auf die Kalorien.»

Bis zum ESC-Finale hat die Band auch noch etwas Zeit. Austragungsort ist in diesem Jahr Liverpool. Großbritannien springt 2023 als ESC-Gastgeberland für die von Russland angegriffene Ukraine ein, die den Wettbewerb 2022 in Turin gewonnen hatte.

Knapp gescheitert: Will Church und Ikke Hüftgold

Als knapp gescheitert konnten beim deutschen Vorentscheid der Singer-Songwriter Will Church und der Party-Sänger Ikke Hüftgold gelten. Church hatte bei dem Jury-Votum noch weit vorne gelegen, konnte dann aber nicht genügend Stimmen des Publikums einfahren.

Komplett umgekehrt war es bei Hüftgold, dessen Versuch, den deutschen Ballermann-Sound nach Europa zu singen, mit einer Mischung aus Spannung und Verwunderung beobachtet worden war. Der Sänger, der im wahren Leben Matthias Distel heißt und als Produzent auch für den umstrittenen Sommerhit «Layla» («Sie ist schöner, jünger, geiler») verantwortlich war, wurde von den Jurys für seinen Song «Lied mit gutem Text» gnadenlos mit dem letzten Platz abgestraft. Das Publikum dagegen beförderte ihn am Ende noch auf die zweite Position, nur geschlagen von Lord Of The Lost.

Hüftgold zeigte sich danach aber durchaus kämpferisch, auch wenn er die schlechten Jury-Wertungen etwa aus Österreich («Österreich? Ich mache da Après-Ski-Auftritte, 100 Stück im Jahr!») nicht ganz nachvollziehen konnte. «Ich schreibe nächste Woche schon wieder den nächsten Song. Ihr glaubt doch nicht, dass ihr mich hier loswerdet», sagte er der Deutschen Presse-Agentur. «Ich überlege aber, ob ich das jetzt gemeinsam mit Ralph Siegel das nächste Mal mache.»

Grand-Prix-Altmeister Siegel (Gewinner 1982 mit Nicole und «Ein bisschen Frieden») sagte dazu am Samstag der Deutschen Presse-Agentur: «Das ist eine lustige Idee. Ich mag Matthias sehr gerne und Ideen soll man ausreifen lassen.» Nachgefragt, ob er sich mit Hüftgold beziehungsweise Distel zusammensetze wolle, sagte Siegel: «Für den ESC oder für was auch immer.»

Von Jonas-Erik Schmidt, dpa

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