Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) will den «sozialen Sprengstoff» steigender Preise im Schulterschluss mit den Sozialpartnern in Deutschland entschärfen. Forderungen nach raschen weiteren Entlastungen für die Menschen in Deutschland erteilte Scholz kurz vor dem Start der Konzertierten Aktion an diesem Montag aber eine Absage.
Unmittelbare Ergebnisse werde der Dialog mit Gewerkschaften, Arbeitgebern, Wissenschaftlern und Bundesbank nicht haben, sagte Scholz im ARD-Sommerinterview im «Bericht aus Berlin».
Er mache sich große Sorgen über die steigenden Energiepreise, sagte Scholz. «Weil die Bürgerinnen und Bürger müssen ja zurechtkommen mit ihrem Leben, und wenn plötzlich die Heizrechnung um ein paar hundert Euro steigt, dann ist das eine Summe, die viele nicht wirklich bewältigen können. Das ist sozialer Sprengstoff.»
Angesprochen auf einen DGB-Vorschlag für einen Energiepreisdeckel sagte Scholz: «Wir werden alle Fragen besprechen.» Sicher würden am Montag zum Auftakt der Konzertierten Aktion noch keine konkreten Maßnahmen vereinbart. Aufgesetzt werde ein Prozess. «Es werden sich in Deutschland wieder alle unterhaken, die Sozialpartner, der Staat.»
DGB-Chefin Yasmin Fahimi hatte in der «Bild am Sonntag» eine Preisgarantie für einen Grundbedarf an Strom und Gas verlangt, der für jeden Erwachsenen und jedes Kind festgelegt werden solle.
Aufruf von Steinmeier
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sprach sich für weitere Entlastungen aus. «Das haben wir noch nicht erlebt, vierfach höhere Preise, nicht nur an den Tankstellen, sondern auch vor allen Dingen für das Gas, was gebraucht wird, um die Heizungen zuhause zu betreiben», sagte Steinmeier in einem ZDF-Sommerinterview. «Dasselbe gilt für die Industrie.» Man werde Instrumente überlegen müssen, wie man vor allem Geringverdienern das Leben erleichtere.
Der Kanzler reagierte zurückhaltend auf Steinmeier. Scholz verwies auf die bisherigen Entlastungsmaßnahmen in Höhe von 30 Milliarden Euro. «Gerade in diesem Augenblick werden alle diese Maßnahmen ausgerollt», sagte er. «Das wird jetzt nicht gehen, indem man ein 30-Milliarden-Euro-Paket beschließt (…) und dann diskutieren wir schon wieder die nächsten.»
Die größte Herausforderung komme erst im nächsten Jahr. «Für dieses Jahr sagen fast alle, die nachgerechnet haben, dass wir bei den unteren und mittleren Einkommen ungefähr 90 Prozent der Preissteigerungen durch die vielen Maßnahmen, die wir ergriffen haben, aufgefangen haben.»
Scholz weist Berichte zu Einmalzahlung zurück
Scholz wies Berichte als «eine freie Erfindung» zurück, nach denen er eine steuer- und abgabenfreie Einmalzahlung der Unternehmen an die Beschäftigten und im Gegenzug Lohnzurückhaltung bei den Gewerkschaften wolle. «Wir haben uns natürlich Gedanken gemacht, wie wir Aktivitäten von Gewerkschaften unterstützen können, gerade wenn die Preise im nächsten Jahr steigen», sagte er. «Aber niemand schlägt vor, dass deshalb die eigentlichen Lohnerhöhungen ausbleiben sollen.»
Zum Neun-Euro-Ticket meinte Scholz, dass dieses auslaufen werde. «Das war immer auf drei Monate konzentriert.»
Grüne wollen Reiche zur Kasse bitten
Die Grünen im Bundestag forderten, dass auch den Reichsten in der Gesellschaft ein Beitrag abgefordert wird. «Die Konzertierte Aktion muss das Signal aussenden, dass die Lage verdammt ernst ist und wir handeln müssen», sagte Fraktionsvize Andreas Audretsch der Deutschen Presse-Agentur. «Alle müssen sich nun die Frage stellen, wie sie einen Beitrag leisten können», sagte Audretsch. «Das gilt vor allem für die, die sehr viel haben, für die Reichsten.» Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen und Renten müssten dagegen die Gewissheit haben, sicher über den Winter zu kommen.
Ökonom fordert höhere Löhne
Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, sagte der dpa: «Nur höhere Löhne und Sozialleistungen können nachhaltig den Schaden für Menschen mit mittleren und geringen Einkommen kompensieren.» Daneben sei der beste Weg im Umgang mit der Inflation eine steuerliche Entlastung und höhere soziale Leistungen für Menschen mit mittleren und geringen Einkommen, sagte Fratzscher.
Wie Fratzscher zeigte sich auch die «Wirtschaftsweise» Veronika Grimm skeptisch, was Einmalzahlungen betrifft. Wenn man für Einmalzahlungen auf Lohnsteigerungen verzichte, müssten sie sehr hoch ausfallen, sagte sie der dpa. «Das könnte natürlich unmittelbar die Nachfrage und somit wieder die Inflation anheizen.»
SPD-Chefin Saskia Esken sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe: «Einmalzahlungen und befristete Entlastungsmaßnahmen helfen kurzfristig, sind aber auf Dauer keine Lösung.» Der Sozialstaat müsse Leistungen anpassen. Die Löhne müssten vor allem im Niedriglohnsektor «signifikant und dauerhaft steigen».
Heils Klimageld soll besprochen werden
Auch andere mögliche Instrumente sollen bei der Konzertierten Aktion auf den Tisch kommen. Dazu zähle das von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) vorgeschlagene soziale Klimageld, hieß es in Regierungskreisen. Heil will einmal im Jahr so ein Klimageld für Alleinstehende, die weniger als 4000 Euro brutto im Monat verdienen, und für Verheiratete mit zusammen weniger als 8000 Euro.
CDU fordert sinkende Mehrwertsteuer
Der CDU-Sozialflügel forderte hingegen: «Die Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel, die um bis zu 40 Prozent teurer geworden sind, muss vorübergehend reduziert werden.» Eine Tüte Chips dürfe nicht billiger sein als ein Möhrensaft, zitieren die Zeitungen der Funke-Mediengruppe ein Papier des Arbeitnehmerflügels CDA.
Nach Ansicht des «Wirtschaftsweisen» Achim Truger kann die Konzertierte Aktion helfen, eine drohende Rezession in Deutschland zu verhindern. Inhaltlich gehe es darum, «dass die Gewerkschaften keine übertriebenen Lohnforderungen stellen, damit es nicht zu einer Preis-Lohn-Spirale kommt», sagte er der Mediengruppe Bayern.
Fratzscher meinte dagegen, die Lohn-Preis-Spirale sei ein «falscher Mythos». Von den Arbeitgebern verlangte Truger wie auch Fratzscher mehr Tarifbindung.
Die CDU-Wirtschaftsexpertin Julia Klöckner kritisierte, die Konzertierte Aktion falle unter die Kategorie «Wenn ich nicht mehr weiter weiß, gründe ich einen Arbeitskreis». Vielmehr müssten unter anderem Steuern und Abgaben auf Energie dauerhaft gesenkt werden.