Seitdem Lana Del Rey 2012 mit dem Song «Video Games» und ihrem offiziellen Debütalbum «Born to Die» berühmt wurde, hat sie mit dem nach Sehnsucht klingenden Melancholie-Pop den Sound der letzten Dekade geprägt. Auf ihrem neunten Studioalbum mit dem Titel «Did You Know That There’s a Tunnel Under Ocean Blvd» beweist die US-Musikerin nun ein weiteres Mal, dass sie viel mehr kann, als traurige Indie-Hymnen in die Welt hauchen.
Musikalisch erinnert das Album an Del Reys ganz frühe Kompositionen, als sie 2008 noch unter dem Namen Lizzy Grant ihr erstes Album veröffentlichte. Auch 15 Jahre später finden sich Genre-Kreuzungen und die Experimentierfreude, die zur Handschrift der 37-Jährigen wurde. Kein Wunder also, dass sie das Album als eines ihrer persönlichsten bezeichnet. Nun gut, das behaupten viele Künstler zu ihrem aktuellen Werk, aber hier geht es tatsächlich weit zu ihren Wurzeln zurück. Und auch inhaltlich wird es überraschend persönlich und familiär.
Persönlich und tiefgründig
Der Opener-Song «The Grants» startet mit sanften Gospelklängen und führt in das große Thema des Albums ein: ihre Familie. Sie besingt die Erinnerungen an ihre Nichte, ihre Großmutter und ihren Onkel, die sie mit ins Grab nehmen wird. Aber auch mit ihrer eigenen Sterblichkeit setzt sie sich auf dem Album mehrfach auseinander. So singt Del Rey im Titelsong davon, dass sie nicht vergessen werden will, wie der einstige Fußgängertunnel unter dem Ocean Boulevard in Long Beach, Kalifornien. Der ist 1967 geschlossen worden, aber noch immer intakt.
«All die Mosaik-Decken sind noch perfekt erhalten, aber niemand kann mehr herein», erzählte Del Rey dem US-amerikanischen Magazin «Interview» im Vorfeld der Albumveröffentlichung. Für sie war die Idee eines wunderschönen Tunnels, in den niemand hinein kommt, die Inspiration für das Album.
In der Mitte des Albums finden sich Orchester- und Klavierballaden, die Del Rey als die persönlichsten Songs des Albums beschreibt. In «Kintsugi» verarbeitet sie zum Beispiel den Schmerz, den sie durch den Tod ihrer Verwandten fühlt. «Fingertips» wiederum erinnert an ihren Gedichtband («Violets Bent Backwards Over The Grass», 2020), weil sie auch in diesem Song ihre innersten Gefühle teilt. «Werde ich jemals Kinder haben?» und «Wird meine Familie bei mir sein, wenn ich sterbe?», fragt sich Del Rey in dem Song.
Eine 77 minütige Musikreise
Ein wenig abschreckend wirkt zunächst die Länge des Albums, das sich mit über 77 Minuten in 16 Tracks jedoch zu einer wohlüberlegten Reise entpuppt. «A&W» markiert als vierter Titel den ersten Bruch der musikalischen Reise durch Del Reys Gedankenwelt. In dem Song zu sexueller Selbstbestimmung und ihrem medialen Image gibt es in der Mitte einen rapiden Wechsel von dunklem Gitarrenpop zu einem Trapbeat aus massiven, ja aggressiven Basstrommeln und einer verspielteren Seite mit rollenden Hi-Hat-Becken, die Del Rey bereits in früheren Produktionen – so zum Beispiel «Lust For Life» von 2017 – zeigte. An dieser Stelle wird auch das Album von einer sehnsüchtigen Traumreise zu einem manischen Fiebertraum.
Teils arrhythmische und dissonante Klavierkompositionen («Candy Necklaces») füllen das Album mit Spannung. Die beiden rund vier Minuten langen sogenannten Interludes, also Zwischenspiele, lassen mehr Fragen offen, als sie beantworten. In einem verfolgt der Zuhörer eine Predigt eines Pastors, im anderen ist der Oscar- und Grammy-Preisträger Komponist Jon Batiste («We Are») zu hören.
Für den einen oder anderen wirkt der Mittelteil der Platte womöglich etwas zäh und undurchdringlich. Wer dran bleibt, wird am Ende aber belohnt: «Taco Truck x VB» liefert eine überraschende Neuauflage ihres Songs «Venice Bitch» (2019), mit «Peppers» und «Let The Light In» liefert Del Rey gleich zwei sehr gelungene Features mit Rapperin Tommy Genesis und Folk-Sänger Father John Misty.
Altbekannte Gesichter
Neben diesen Gästen finden sich auf dem Album auch altbekannte Wegbegleiter wie Jack Antonoff, der auch mit Taylor Swift arbeitet und schon frühere Alben produzierte («Norman Fucking Rockwell»,2019; «Chemtrails Over The Country Club», 2021). Auch Produzent Drew Erickson ist nach dem letzten Album «Blue Banisters» (2021) wieder dabei.
«Did You Know That There’s a Tunnel Under Ocean Blvd» ist kein Album, das sich unbeschwert nebenher anhören lässt. Wer zu einem Album von Lana Del Rey greift, erwartet das aber auch nicht unbedingt. Die Platte bietet viel mehr eine Tiefe, die sich nach dem ersten Hören nicht sofort erschließt und ergründet werden will. Es lohnt sich, die knapp 80-minütige Reise anzutreten.