Katy M. O’Brian (l) und Kristen Stewart als Jackie und Lou in einer Szene des Films «Love Lies Bleeding». (Urheber/Quelle/Verbreiter: Courtesy of A24/Plaion Pictures/dpa)

Lange Zeit sahen Sexszenen in Hollywood oft gleich aus. Schummriges Licht im Schlafzimmer, der Mann liegt über der Frau im Bett, und während er sich zu ihr beugt, wird abgeblendet. Oder es ging etwas expliziter zu, etwa in den erotischen Thrillern, die in den 90er Jahren produziert wurden. An Klischees wurde dabei nicht gespart.

In den späten 2010er Jahren sind Sexszenen in Hollywood dann aus der Mode gekommen, womöglich auch wegen der MeToo-Bewegung. Bis jetzt. Filme wie «Kinds of Kindness» oder «Love Lies Bleeding», die bald in die Kinos kommen, zeigen: Der Sex in größeren Kino-Filmen ist zurück. Und er hat sich verändert.

«Nach einer Zeit der Keuschheit sind Hollywood-Filme wieder offen für Sex», betitelte kürzlich die «New York Times». Die neuen Filme haben teils sehr explizite erotische Szenen und sind diverser geworden. Da lutscht eine Frau der anderen die Zehen («Love Lies Bleeding» mit Kristen Stewart) oder schauen sich Figuren in einem beklemmenden Szenario einen Porno an, den sie früher mal gedreht haben («Kinds of Kindness» mit Emma Stone).

Es gab zuletzt viele Filme mit ungewohnten erotischen Szenen. Dabei war nie der klassische, romantische Film-Sex in Missionarsstellung zu sehen – stattdessen sind die Szenen irritierend («Saltburn»), lustig («Poor Things») oder komplett auf die Lust der Frau fokussiert («Don’t Worry Darling»). Woran liegt es, dass Sexszenen ein Comeback haben? Und was zeichnet eine gute Sexszene in Filmen eigentlich aus?

Anderer Film-Sex wegen Intimitätskoordinatorinnen

Man kann diese Fragen einer Intimitätskoordinatorin stellen. Die Schauspielerin Anne Schäfer arbeitet, wenn sie nicht selbst dreht, in der Funktion. Intimitätskoordinatorinnen stellen sicher, dass intime Szenen bei Dreharbeiten zu Filmen und Serien gut geplant und im Einverständnis aller Beteiligten gedreht werden.

Schäfer teilt den Eindruck, dass Sexszenen in Filmen anders geworden sind – zumindest teilweise. «Die Szenen haben sich verändert, im jungen Film», sagte die 45-Jährige der Deutschen Presse-Agentur. «Es gibt eine realistischere und diversere Darstellung. Ich glaube, dass da eine neue Generation an Filmemachern heranwächst, denen das wichtig ist.» 

Ihr Zweitberuf dürfte eine Erklärung dafür sein, warum es wieder häufiger Sexszenen in Filmen zu sehen gibt: Weil Beraterinnen darauf achten, dass alle am Set einverstanden sind mit dem, was passiert. Das war früher anders, etwa beim Erotik-Klassiker «Basic Instinct» von 1992. Hauptdarstellerin Sharon Stone schlägt darin in einer legendär gewordenen Szene die Beine übereinander und trägt nichts darunter.

Stone sagte später, dass sie angelogen worden sei und nicht gewusst habe, dass in diesem Moment ihr Intimbereich gezeigt wird. Gut zwanzig Jahre später konnte man noch ähnliche Erfahrungen hören, zum Beispiel beim Cannes-Gewinner «Blau ist eine warme Farbe» von 2013. Das Drama mit Léa Seydoux und Adèle Exarchopoulos hat eine sechs Minuten lange Sexszene. Die Hauptdarstellerinnen beschrieben die Arbeit später als grenzüberschreitend. 

Kristen Stewart stört sich an übertriebenen Stöhngeräuschen

Inzwischen sind Intimitätskoordinatorinnen zumindest bei englischsprachigen Drehs üblich. Auch bei «Love Lies Bleeding» (Kinostart 18. Juli) gab es so jemanden. Darin spielt Hollywoodstar Kristen Stewart eine Frau, die mit einer Bodybuilderin anbandelt. Während sich der Film von einer schrägen Romanze in einen Thriller verwandelt, sieht das Publikum, wie die beiden Frauen miteinander schlafen. Zuvor masturbiert Stewarts Figur Lou einmal. Ganz unspektakulär, auf dem Bauch auf einem schäbigen Sofa, ohne Geräusche. Realistisch – wie Stewart selbst es beschreibt.

In vielen Filmen sei in Selbstbefriedigungsszenen Stöhnen zu hören, sagte sie der dpa. «Es ist immer so lautstark», sagt sie und macht dabei übertriebene Stöhngeräusche nach. Das habe sich unrealistisch angefühlt. Das Filmteam hat es anders gelöst – und damit eine erfrischende, ganz beiläufige Darstellung von Intimität geschaffen. Die Szene passt zur Figur von Stewart, die ebenfalls ein möglichst unauffälliges Leben führen will (ein Anspruch, an dem sie im Lauf des Films recht krachend scheitert).

Meryl Streeps besondere Definition einer Sexszene

Eine gute Sexszene ist sicherlich eine, die etwas über die Charaktere erzählt. Schauspielerin Schäfer beschreibt es so: «Man muss eine klare Vorstellung haben: Was will ich künstlerisch mit dieser Szene? Im allerbesten Fall erzählt die Szene etwas über die Figur, was wir noch nicht wissen. Und berührt auf eine Art, mit der eine andere Szene nicht berühren könnte.»

Neulich sagte Hollywoodstar Meryl Streep etwas Interessantes zum Thema. Sie beschrieb die Szene in «Jenseits von Afrika», wenn Robert Redford als Denys ihrer Figur Karen die Haare wäscht, als «Sexszene». Es sei eine solche, weil sie so intim sei, sagte die 75-Jährige in einem Gespräch bei den Filmfestspielen in Cannes. «Wir haben schon so viele Szenen gesehen, in denen Menschen ficken, aber wir sehen nicht diese Liebe und Berührung, diese Fürsorge», sagte sie.

Ein veränderter Filmmarkt als Voraussetzung für mehr Film-Sex

Das Historiendrama «Jenseits von Afrika» kam 1985 heraus. Über die Jahre folgten in der Kinogeschichte viele weitere ikonische Intimszenen. Irgendwann wurde Hollywood zurückhaltender. Einen Grund sieht die «New York Times» im Filmmarkt. «In den 2000er Jahren begannen die Produktionsfirmen, sich zwanghaft auf Franchises und Animationsfilme mit Freigabe ab 13 Jahren zu konzentrieren – Genres, die ein weltweites Publikum ansprechen und Merchandising-Produkte verkaufen können. Die Studios wollten auch nach China expandieren, wo die Zensur keine Sexszenen zulässt. Infolgedessen wurden immer weniger erotische Geschichten auf der großen Leinwand gezeigt (außer in Programmkinos).» Das habe sich inzwischen geändert, auch, weil die Studios aufgehört hätten, nach China zu schielen – wo sich Hollywood-Filme schlecht verkauften. 

Die Arbeit von Intimitätskoordinatorinnen und der Markt könnten also Gründe für eine neue Freizügigkeit im Film sein. Diese tritt dem Publikum auch bei «Kinds of Kindness», dem neuen Film von «Poor Things»-Regisseur Giorgos Lanthimos (Kinostart 4. Juli), ins Auge. Der experimentelle Film, der von Selbstaufgabe erzählt, wurde bei seiner Premiere in Cannes teils gelobt – manche irritierte aber auch die scheinbare Besessenheit des Regisseurs mit weiblicher Nacktheit. Beim Filmfest Venedig fragte Lanthimos vergangenes Jahr: «Warum gibt es keinen Sex mehr in Filmen?» Es scheint, als hätte Hollywood seinen Ruf erhört.

Von Lisa Forster, dpa

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