«Der höchste Rückzahlungsanspruch liegt bei über einer Million.» (Urheber/Quelle/Verbreiter: Martin Gerten/dpa)

Im Streit um unerlaubte Sportwetten hat der Bundesgerichtshof (BGH) den Spielern den Rücken gestärkt. Zahlreiche Menschen, die in früheren Jahren bei solchen Angeboten Verluste gemacht haben, können auf Rückerstattung verlorener Wetteinsätze hoffen. Zwar gibt es noch kein Urteil. Aus Hinweisen des BGH für eine im Mai geplante Verhandlung geht aber eine eindeutige Tendenz hervor – zugunsten der bis dato glücklosen Zocker. Fachleute rechnen mit einer noch größeren Klagewelle als ohnehin schon.

Dass Tausende solcher Verfahren laufen, liegt zum einen daran, dass mehrere Firmen vor Jahren in einer rechtlich unklaren Lage Sportwetten angeboten hatten. Zum anderen haben sich Kanzleien und Unternehmen, die zu jenen Rechtsanwälte vermitteln und die Kosten der Rechtsverfolgung gegen eine Provision im Erfolgsfall finanzieren, darauf spezialisiert. 

Dazu zählt Gamesright, dessen Gründer Hannes Beuck und Christoph Gerstner das Ganze aufgrund der Dimension, die der Sportwettenmarkt insgesamt hat, mit dem «Dieselskandal» vergleichen. Hier sei das Volumen zwar doppelt so groß. Dafür sei die Verjährungsfrist im Fall der Sportwetten länger. Dieser Punkt spielte im aktuellen Fall allerdings keine große Rolle. Auch Rechtsanwalt Thomas Schopf, der dort den Kläger in Vorinstanzen wie dem Dresdner Oberlandesgericht (OLG) vertreten hat, schreibt auf anwalt.de, nach dem BGH-Beschluss dürfte «ein regelrechter Tsunami über die ganze Sportwetten-Branche hereinbrechen».

In eben jenem 25 Seiten langen Dokument, das der Deutschen Presse-Agentur vorliegt, geht der erste Zivilsenat in Karlsruhe davon aus, dass der Anbieter gegen Regelungen des Glücksspielstaatsvertrags in der Fassung von 2012 verstoßen habe. Unter anderem hatte die Firma demnach den Höchsteinsatz je Spieler nicht auf 1000 Euro pro Monat begrenzt. Das wird schon daran deutlich, dass der Mann in knapp zweieinhalb Monaten im Jahr 2018 rund 12.000 Euro Verlust gemacht hat. Die fordert er plus Zinsen zurück. (Az. I ZR 88/23)

Die Verträge zwischen Anbieter und Spieler dürften nichtig sein, schlussfolgert der BGH im noch unveröffentlichten Beschluss. Der Kläger dürfte einen Rückzahlungsanspruch haben. 

Verluste überschreiten teils Millionen-Marke 

Das ist zwar kein Urteil. Der Senat erteilte den Parteien nach vorläufiger rechtlicher Beurteilung lediglich Hinweise zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung. Allerdings dürfte der extrem sorgfältige und ausführliche Hinweisbeschluss nach Einschätzung von Rechtsanwalt Matthias Siegmann, der den Kläger am BGH vertritt, mehr oder weniger das beabsichtigte Urteil darstellen. Ob es überhaupt noch eine Verhandlung und ein Urteil geben wird, bleibt indes abzuwarten. Das Unternehmen kann seine Revision auch zurücknehmen.

Doch auch an dem Beschluss dürften sich untere Instanzen ähnlich wie an einem Urteil des BGH orientieren, schreibt Anwalt Schopf in seinem Beitrag. Auch ein Hinweisbeschluss sei für sie richtungsweisend. Denn bislang hatten Gerichte unterschiedlich geurteilt. 

So hatte das OLG Dresden für den Kläger entschieden. In einem anderen Fall stärkte das Landgericht Ulm die Position des Anbieters. Dieses für März geplante Verfahren setzte der BGH kurzfristig ab, weil beide Seiten einen Vergleich aushandeln wollten. (Az. I ZR 90/23)

Das Thema hat wegen des Ausmaßes eine große Brisanz. Allein rund 2000 von Gamesright vermittelte Fälle laufen Beuck und Gerstner zufolge noch. «Und wir kriegen täglich rund 100 Anfragen.» Eines ihrer ersten Verfahren war das Ulmer. Die Erfolgsquote bei etwa 500 abgeschlossenen Fällen liege bei mehr als 90 Prozent. Im Schnitt gehe es um ein Volumen von rund 25.000 Euro. «Der höchste Rückzahlungsanspruch liegt bei über einer Million.»

Immer wieder spielt die Frage nach einer fehlenden Lizenz eine Rolle. Denn die Anbieter hatten längere Zeit wegen rechtlicher Probleme im Vergabeverfahren keine Konzession, sondern bekamen diese erst vor wenigen Jahren nach gerichtlichen Entscheidungen. Hintergrund des Schwebezustands zwischen 2012 und 2020 sind Änderungen in den Glücksspielstaatsverträgen, mit denen das Sportwetten-Angebot reguliert werden sollte.

Laut BGH hat der beklagte Betreiber auch deshalb gegen den Glücksspielstaatsvertrag verstoßen, weil er im relevanten Zeitraum für öffentlich im Internet angebotene Sportwetten keine Erlaubnis hatte. Dies sei aber zweitrangig angesichts der inhaltlichen Verstöße.

Glücksspielsucht, Schwarzmarkt und Jugendschutz 

Der Senat nennt ausdrücklich Ziele des Vertrags: etwa das Entstehen von Glücksspielsucht zu verhindern, durch ein begrenztes Angebot den natürlichen Spieltrieb der Bevölkerung in geordnete und überwachte Bahnen zu lenken, unerlaubtem Glücksspiel in Schwarzmärkten entgegenzuwirken, den Jugend- und Spielerschutz zu gewährleisten sowie sicherzustellen, dass Spieler vor betrügerischen Machenschaften geschützt werden. Wortgleich steht es auch am Anfang des neuen Glücksspielstaatsvertrags von 2021.

Dem aktuellen Glücksspielatlas zufolge nahmen 2021 fünf Prozent der Bevölkerung an Sportwetten teil – eine Verdopplung innerhalb von zwei Jahren. Die Bruttospielerträge bei Sportwetten wiederum hätten 2022 bei 1,4 Milliarden Euro gelegen. Zum Vergleich: Bei Lotterien seien es 4,1 Milliarden und bei Geldspielautomaten 4,8 Milliarden Euro gewesen. 

Der Zuwachs bei Sportwetten sei seit deren Legalisierung im Herbst 2020 stark, heißt es weiter. Laut der Gemeinsamen Glücksspielbehörde der Länder (GGL) haben inzwischen 30 Anbieter von Sportwetten eine Erlaubnis. 14 Anträge auf eine solche lägen vor.

Spieler können sich in einer GGL-Liste vergewissern, bei einem erlaubten Sportwettanbieter zu spielen. Denn die Beteiligung an einem unerlaubten öffentlichen Glücksspiel ist strafrechtlich verboten, wie Robin Anstötz und Florian Tautz vom Institut für Glücksspiel und Gesellschaft an der Uni Bochum erläutern. «Zusätzlich sollten Spieler auf der Homepage des jeweiligen Anbieters nach dem Prüf- und Erlaubnissiegel der GGL Ausschau halten.»

Laut einer GGL-Sprecherin sind im vergangenen Jahr rund 630 Beschwerden zu legalen Sportwettangeboten eingegangen. Der Glücksspielatlas berichtet darüber hinaus von 199 illegalen deutschsprachigen Sportwetten-Seiten im Internet im Jahr 2022.

Von Marco Krefting, dpa

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