Die Corona-Impfungen bescheren reichen Ländern ein Wachstum. Arme Länder sind die Verlierer. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Bernd Weißbrod/dpa)

Die Verfügbarkeit von Corona-Impfstoffen bestimmt die Entwicklung der Weltwirtschaft: Industrieländer können in diesem Jahr nach Ansicht des Internationalen Währungsfonds (IWF) weiter mit starkem Wachstum rechnen, ärmere Staaten hingegen stecken in der Corona-Krise fest.

«Der Ausblick für die ärmeren Entwicklungsländer hat sich deutlich verdunkelt», sagte IWF-Chefvolkswirtin Gita Gopinath. «Der Zugang zu Impfstoffen bleibt der wichtigste Antrieb der Verwerfungen bei der globalen Erholung.» Den ärmeren Staaten fehle zudem der finanzielle Spielraum, die Konjunktur zu stützen.

Der IWF senkte am Dienstag seine Prognose für das Wachstum der Weltwirtschaft in diesem Jahr marginal um 0,1 Prozentpunkte auf 5,9 Prozent. Für 2022 rechnet der IWF wie in der vorigen Prognose vom Juli weiter mit einem Wachstum von 4,9 Prozent. Die Inflationsrate wird sich demnach erst Mitte 2022 wieder normalisieren.

Hinter der geringen Veränderung der globalen Wachstumsprognose verbergen sich jedoch für einige Länder deutliche Herabstufungen, wie Gopinath erklärte. Neben den Schwierigkeiten vieler Schwellen- und Entwicklungsländer hätten sich unter anderem wegen Problemen mit globalen Lieferketten auch die kurzfristigen Wachstumsaussichten für die Industrieländer verschlechtert. Die Herabstufungen würden aber zum Teil von besseren Wachstumsaussichten der großen Rohstoffexporteure wettgemacht, die von höheren Preisen profitierten.

Industrieländer, in denen im Durchschnitt rund 60 Prozent der Bevölkerung abschließend geimpft sind, können sich auf starkes Wachstum freuen. Die ärmsten Länder, in denen nur rund fünf Prozent der Bevölkerung voll geimpft sind, stagnieren hingegen eher. Während die Wirtschaftsleistung der Industriestaaten schon bald höher sein wird als vor der Pandemie, dürfte das Aufholen für die Gruppe der Entwicklungs- und Schwellenländer noch Jahre dauern, warnte der IWF.

Die Wachstumsprognose für die USA, die weltgrößte Volkswirtschaft, senkte der IWF für dieses Jahr um einen Prozentpunkt auf 6 Prozent, für 2022 hob er sie aber geringfügig auf 5,2 Prozent an.

Für Deutschland korrigierte der IWF seine Prognose für dieses Jahr um 0,5 Prozentpunkte nach unten: Das Bruttoinlandsprodukt soll 2021 um 3,1 Prozent wachsen. Für 2022 rechnet der IWF mit 4,6 Prozent. Die Prognose für die Eurozone hob der IWF für 2021 um 0,4 Prozentpunkte auf 5 Prozent an – teils getragen von stärkerem Wachstum in Italien und Frankreich.

Die Vorstellung der neuen Prognose wurde überschattet von einem Skandal um IWF-Chefin Kristalina Georgiewa. Ihr wurde vorgeworfen, auf ihrem vorigen Spitzenposten bei der Weltbank 2017 ein wichtiges Länderranking zugunsten Chinas beeinflusst zu haben. Sie soll Druck auf Mitarbeiter gemacht haben, um ein Abrutschen Chinas im Geschäftsklimaindex der Weltbank («Doing Business») zu verhindern. Die frühere EU-Kommissarin Georgiewa (68), die seit Ende 2019 an der Spitze des IWF steht, hat die Manipulationsvorwürfe zurückgewiesen.

Nach acht Sitzungen zu dem Thema sprach der Exekutivrat des IWF Georgiewa nun aber sein «volles Vertrauen» aus. US-Finanzministerin Janet Yellen, die den größten IWF-Anteilseigner vertritt, erklärte, die USA sähen ohne weitere direkte Beweise zu Georgiewas Rolle «keine Basis für einen Wechsel in der Führung des IWF». Die USA würden die Aufarbeitung genau verfolgen. Um die Integrität der Datenerhebung und die Glaubwürdigkeit zu stärken, seien nun «proaktive Schritte» nötig. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte nach einer digitalen G20-Konferenz zu Afghanistan, sie schließe sich dem Aufsichtsgremium an, dass Georgiewa sein «volles Vertrauen» ausgesprochen habe.

Für die Weltbank und den IWF ist die angebliche Manipulation von Daten ein schwerer Vorwurf. Für die in Washington ansässigen Organisationen gehört die unabhängige und unpolitische Erhebung und Zusammenstellung internationaler Daten zum Kerngeschäft. Die Daten der Organisationen sind häufig auch eine Grundlage für weitreichende Entscheidungen, etwa wenn es um Hilfsgelder geht.

Das Timing des Skandals kam für IWF und Weltbank zur Unzeit, denn in dieser Woche versammeln sich Finanzminister, Zentralbanker und weitere Experten zur Jahrestagung der Organisationen. Das Treffen findet wegen der Pandemie teils online statt. Finanzminister Olaf Scholz und andere Teilnehmer wurden jedoch in Washington erwartet.

Der IWF betonte, die neue Wirtschaftsprognose sei mit großer Unsicherheit verbunden. Ein ungünstigerer Verlauf der Pandemie, insbesondere durch noch aggressivere Varianten des Coronavirus, oder eine anhaltend hohe Inflationsrate in den USA, die die Notenbank zum Einschreiten zwingen würde, könnte das Wachstum ausbremsen. «Die Risiken für den wirtschaftlichen Ausblick haben insgesamt zugenommen und politische Entscheidungen sind komplexer geworden», so Gopinath.

Die stark angestiegene Teuerungsrate wird der IWF-Prognose zufolge erst Mitte nächsten Jahres für den Großteil der Welt wieder auf den Wert von vor der Pandemie zurückfallen. Die hohe Inflationsrate sei vor allem auf vorübergehende Faktoren wie die Erholung nach der Corona-Krise, den Mangel an bestimmten Produkten wie Mikrochips und Problemen mit den Lieferketten zurückzuführen, erklärte der IWF. Auch höhere Energiepreise spielten eine Rolle.

Die Zentralbanken müssten sich bei ihrer Geldpolitik daher bis auf Weiteres auf «einem schmalen Grat bewegen». Sie müssten die Gefahr der Inflation und finanzielle Risiken gegen eine Unterstützung der wirtschaftlichen Erholung abwägen, erklärte Gopinath.

Der IWF erwartet für die Industrieländer dieses Jahr eine Inflationsrate von 2,8 Prozent und 2,3 Prozent nächstes Jahr. Im Juli hatte er noch mit 2,4 Prozent und 2,1 Prozent gerechnet.

Von Jürgen Bätz, dpa

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