Europas Währungshüter treten bei ihren milliardenschweren Anleihenkäufen leicht auf die Bremse. Ein Ende des in der Pandemie aufgelegten Notkaufprogramms PEPP ist damit allerdings nicht beschlossen.
In dieser Frage vertröstete die Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB), Christine Lagarde, die Märkte am Donnerstag auf die letzte Sitzung des EZB-Rates in diesem Jahr am 16. Dezember: «Wir werden im Dezember über die Bedingungen und Konditionen von PEPP sprechen.»
Einstimmig beschlossen wurde, dass die Wertpapierkäufe im Rahmen des Pandemic Emergency Purchase Programme (PEPP) im vierten Quartal des laufenden Jahres «moderat reduziert» werden. Zuletzt steckte die EZB monatlich etwa 80 Milliarden Euro in Anleihen von Staaten und Unternehmen. Eine Summe für die nächsten Monate nannte die EZB nicht.
«Wir sehen eindeutig Verbesserungen an vielen Fronten», sagte Lagarde in Frankfurt. Die Erholung der Wirtschaft im Euroraum vom Corona-Tief schreite voran. Für das laufende Jahr erwartet die Notenbank nun ein Wachstum von 5,0 (Juni-Prognose: 4,6) Prozent, 2022 dann 4,6 (4,7) Prozent. Es werde aber noch eine Weile dauern, bis der durch die Pandemie angerichtete Schaden behoben sei, sagte Lagarde.
Die EZB bekräftigte, dass sie noch bis mindestens Ende März 2022 im Rahmen ihres besonders flexiblen Notkaufprogramms Staats- und Unternehmensanleihen kaufen will, um den Aufschwung zu unterstützen. Das PEPP hat ein Gesamtvolumen von 1,85 Billionen Euro.
Die Anleihenkäufe der EZB helfen Staaten wie Unternehmen: Diese müssen für ihre Wertpapiere nicht so hohe Zinsen bieten, wenn eine Zentralbank als großer Käufer am Markt auftritt. Das ist besonders für Staaten wichtig, die zur Abfederung der wirtschaftlichen Folgen der Pandemie milliardenschwere Hilfsprogramme aufgelegt haben.
«Es ist gut, dass sich der EZB-Rat bewegt und einen allerersten Trippelschritt auf dem langen Weg zu einem Ende der Anleihenkäufe unternimmt», kommentierte Ökonom Friedrich Heinemann vom ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung. In den nächsten Monaten müssten allerdings «weitere klare Ansagen für einen Exit aus der Krisenpolitik folgen», forderte Heinemann.
Auch Andreas Bley, Chefvolkswirt des Bundesverbandes der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR), mahnte: «Die EZB sollte sich frühzeitig auf einen Kurswechsel weg von der extrem expansiven Geldpolitik vorbereiten, denn der Bremsweg dürfte sich angesichts der umfassenden Anleihenkäufe über einen langen Zeitraum erstrecken.»
Ein Ende des Zinstiefs im Euroraum ist bislang jedoch nicht in Sicht. Den Leitzins im Euroraum hält die EZB weiterhin auf dem Rekordtief von null Prozent. Auf diesem Niveau liegt der Zins inzwischen seit März 2016. Geschäftsbanken müssen nach wie vor 0,5 Prozent Zinsen zahlen, wenn sie Geld bei der Notenbank parken.
Kritiker werfen der EZB vor, mit dem vielen billigen Geld die Inflation anzuheizen, die sie eigentlich im Zaum halten will. Oberstes Ziel der Notenbank sind stabile Preise. Eine höhere Inflation schwächt die Kaufkraft von Verbrauchern, weil sie sich für einen Euro dann weniger kaufen können als zuvor.
Die Teuerung im Euroraum dürfte nach jüngster Einschätzung der Zentralbank in diesem Jahr bei 2,2 (Juni-Prognose: 1,9) Prozent liegen. Für 2022 rechnen die Währungshüter mit einer jährlichen Preissteigerung von 1,7 (1,5) Prozent.
Beim Umgang mit höheren Teuerungsraten hat sich die EZB mehr Flexibilität verschafft: Die Notenbank strebt neuerdings für den Währungsraum der 19 Staaten eine jährliche Teuerungsrate von zwei Prozent an und ist zumindest zeitweise bereit, eine moderates Über- oder Unterschreiten dieser Marke zu akzeptieren.
Im August 2021 lagen die Verbraucherpreise im Euroraum um 3,0 Prozent über dem Niveau des Vorjahresmonats – der höchste Stand seit fast zehn Jahren. Die Zinsen will die EZB erst wieder anheben, wenn sie ihr Inflationsziel nachhaltig erreicht sieht.
Bundesbank-Präsident Jens Weidmann hatte gemahnt, auch «das Risiko einer zu hohen Inflation» nicht auszublenden: «Angesichts der bestehenden Unsicherheit sollten wir den sehr lockeren Kurs der Geldpolitik nicht für zu lange festschreiben.»
Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), sagte am Donnerstag: «Die EZB signalisiert zu Recht, dass sie sich alle Freiheiten und Flexibilität für ihre weitere Geldpolitik in den kommenden Jahren sichern wird. Die Wirtschaftsentwicklung und die Inflation sind immer noch nicht stark genug für eine Ende der expansiven Geldpolitik.»
Aus Sicht der EZB ist der Anstieg der Verbraucherpreise vorübergehend und auf Sonderfaktoren infolge der Corona-Krise zurückzuführen. So waren zum Beispiel die Rohölpreise wegen geringer Nachfrage auf dem Weltmarkt nach Ausbruch der Pandemie im Frühjahr 2020 eingebrochen. Seither haben sie sich erholt. Auch die Rückkehr zu den üblichen Mehrwertsteuersätzen in Europas größter Volkswirtschaft Deutschland zum 1. Januar 2021 hatte einen Effekt auf die Teuerung im Euroraum.
Greenpeace nutzte die EZB-Sitzung, um mit einer Aktion vor der EZB-Zentrale in Frankfurt mehr Einsatz der Notenbank im Kampf gegen den Klimawandel zu fordern.