Einige Monate vor dem russischen Krieg gegen die Ukraine traf Rosneft eine strategische Entscheidung. Der russische Staatskonzern kaufte über seine Tochtergesellschaft Rosneft Deutschland weitere Anteile an der PCK-Raffinerie Schwedt, um sie nahezu vollständig zu übernehmen.
Nun prüft Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), ob das Geschäft noch zu stoppen ist. Und er sucht einen Hebel, die Anlage im äußersten Notfall unter staatliche Kontrolle zu stellen. Möglich wird dies mit dem erneuerten Energiesicherungsgesetz, das der Bundestag am Donnerstag billigte.
Denn der russische Eigner, der das Werk bisher mit russischem Öl aus der Druschba-Pipeline betreibt, ist für Habeck ein gewaltiger Stolperstein auf dem Weg zu einem Öl-Embargo gegen Moskau. Der Betreiber habe kein Interesse an einer Abkehr von russischem Öl, sagt der Grünen-Politiker. Die Bundesregierung hingegen will Schwedt so schnell wie möglich anders versorgen.
Was sieht die Novelle des Energiesicherungsgesetzes vor?
Wenn die «konkrete Gefahr» besteht, dass ein Unternehmen seine Aufgaben nicht erfüllt und eine Beeinträchtigung der Versorgungssicherheit droht, kann es mit dem reformierten Gesetz vorübergehend unter Treuhandverwaltung gestellt werden. Um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten, wird bei Unternehmen der kritischen Infrastruktur als «Ultima Ratio» – also als letztes Mittel – auch die Möglichkeit einer Enteignung geschaffen. Des Weiteren wird die Möglichkeit für Preisanpassungen bei verminderten Gasimporten vorgesehen.
Wieso braucht Habeck diese Novelle?
Die Energieversorgung gehört wie zum Beispiel auch Krankenhäuser zur kritischen Infrastruktur. Das heißt, sie hat für das tägliche Leben eine besondere Bedeutung – ohne sie läuft fast nichts. Aber hier agieren nun mal private Unternehmen, auf die der Staat nicht einfach zugreifen kann. Heikel wird es, wenn bei Energiekonzernen wie Gazprom und Rosneft auch der russische Staat auf dem deutschen Energiemarkt mitmischt. Seit Russlands Einmarsch in die Ukraine wachsen die Sorgen, dass der Kreml dies als Hebel nutzen könnte, um die Energieversorgung Deutschlands zu gefährden.
Selbst der Koalitionspartner FDP geht da mit. In Europa sei Krieg, sagte der energiepolitische Sprecher der Fraktion, Michael Kruse, der dpa. «Für uns Freie Demokraten heißt das: Ein Instrument, dessen Einsatz wir sehr kritisch sehen, muss hier möglicherweise zum Einsatz gebracht werden. Dazu zwingt uns die Realität.» Es gebe aber klare Leitlinien dafür, etwa eine spätere Re-Privatisierung.
Gilt die Gesetzesnovelle nur für Schwedt und Rosneft?
Nein. Das aus dem Jahr 1975 stammende Gesetz habe ohnehin zur Reform angestanden, erklärt das Bundeswirtschaftsministerium. «Das Vorhaben war schon lange geplant und wird jetzt umgesetzt. Es gibt keinen Zusammenhang mit Einzelfällen.» Zudem gehe es bei der Reform auch um andere Punkte.
Wie sind die Besitzverhältnisse bei PCK?
Rosneft hält die Mehrheit und will sie weiter ausbauen. Mit dem Kauf weiterer Anteile des Miteigentümers Shell will Rosneft die PCK-Raffinerie zu 91,67 Prozent unter seine Kontrolle bringen. Das Bundeskartellamt hat dies geprüft und Ende Februar genehmigt. Dabei habe es «nullkommanull Verhaltensspielraum» gegeben, weil die Übernahme wettbewerbsrechtlich unproblematisch gewesen sei, sagt ein Behördensprecher.
Habecks Ministerium beleuchtet den Fall nun nach anderen Gesichtspunkten in einem Investitionsprüfverfahren nach Außenwirtschaftsrecht. Zum Stand sagt das Ministerium nichts. Vorerst gilt die bisherige Eigentümerstruktur: Beteiligt sind die Rosneft Deutschland GmbH mit 54,17 Prozent, die Shell Deutschland GmbH mit 37,5 Prozent und Eni Deutschland GmbH mit 8,33 Prozent. Shell hat deutlich gemacht, dass es seine Anteile an der PCK nicht an Rosneft Deutschland verkaufen wollte, sondern an die österreichische Alcmene. Rosneft habe aber sein vertraglich zugesichertes Vorkaufrecht ausgeübt.
Was möchte die Geschäftsführung von PCK?
Seit April ist Rolf Schairer neuer PCK-Geschäftsführer. Der frühere Chef der Karlsruher Mineralölraffinerie Oberrhein zeigte sich am Montag beim Besuch Habecks in Schwedt zuversichtlich. «Wird es Raffinerien geben, die es nicht überleben? Ja, aber nicht wir», rief er seinen Beschäftigten bei einer Betriebsversammlung zu. «Dazu brauchen wir ein gutes Management und vor allem brauchen wir Euch.» Der PCK-Chef grenzte sich deutlich vom Russland-Krieg ab: «Wir verurteilen diesen fürchterlichen Angriffskrieg aufs Äußerste. Es ist absolut nicht tolerabel. Und was die politischen Entscheidungen sind, gehen wir mit», sagte er. «Wir tun alles, um unseren Weiterbestand zu sichern und die Region zu versorgen, das ist unsere Aufgabe. Wir solidarisieren uns überhaupt nicht mit diesen Verbrechern.»
Welchen Plan hat Habeck für Schwedt?
Habeck skizzierte bei seinem Besuch in Schwedt folgenden Plan: Wenn kein russisches Öl mehr importiert werden darf, könnte Öl aus anderen Quellen per Schiff in Rostock angelandet und per Pipeline in die PCK-Raffinerie gebracht werden. Der Bund könnte etwaige Mehrkosten für Transport und Beschaffung ausgleichen. Und anstelle von Rosneft könnte ein Treuhänder die Anlage betreiben. «Wenn alles drei klappt, dann haben Sie eine Jobsicherheit für die nächste Zeit», versprach Habeck den rund 1200 Mitarbeitern. Er sagte auch: «Wir brauchen Schwedt.» Denn die Raffinerie versorgt Berlin, Brandenburg sowie Gebiete in Mecklenburg-Vorpommern und Westpolen mit Treibstoff. Habeck führte auch Gespräche in Polen über mögliches Öl aus Danzig.
Würde Rosneft mitmachen bei nicht-russischen Ölquellen?
Die Tochtergesellschaft Rosneft Deutschland zeigt sich offen. «Ja, wir verarbeiten auch andere Öle», sagt Sprecher Burkhard Woelki der dpa. «Wir haben in der PCK schon in der Vergangenheit vergleichbare andere Rohöle verarbeitet.» Nach seinen Angaben wären 60 Prozent der vergleichbaren Qualität nötig, um den Weiterbetrieb der Raffinerie zu sichern – sonst müsste sie umgebaut werden. «Über Rostock könnten wir 50 bis 60 Prozent der bisherigen Leistung von PCK versorgen.» Die Frage einer Treuhänderschaft oder gar Enteignung will Rosneft Deutschland nicht kommentieren. Das sei Sache des deutschen Parlaments.
Lässt sich PCK so retten und die Versorgung im Osten sichern?
Der Energieexperte Steffen Bukold sagt Ja. Auch er schätzt in einer Studie für das Zentrum Liberale Moderne, dass über Rostock per Pipeline circa 60 Prozent der Rohölnachfrage in Schwedt gedeckt werden kann. Aus staatlichen Ölreserven in Niedersachsen könnten Teilmengen nach Schwedt verschifft werden – das gehört auch zu Habecks Plan. Hinzukommen könnte Rohöl, das nach Danzig verschifft und über die Plock-Pipeline nach Schwedt gebracht wird. So könnte die Raffinerie weiter produzieren – ob unter Volllast, ist offen.
Damit in Ostdeutschland alle Tankstellen immer Sprit haben und alle Flieger am Berliner Flughafen BER Kerosin, könnten aus Bukolds Sicht die übrigen Raffinerien in Deutschland verpflichtet werden, «Teile Ostdeutschlands mitzuversorgen». Transportkosten und Knappheit könnten aber die Preise regional erhöhen. Die Linke warnt vor einem Spritpreis von mehr als drei Euro pro Liter, selbst wenn die Ölraffinerie in Schwedt gerettet wird.