90 Tage lang für 9 Euro im Monat öffentliche Busse und Bahnen nutzen, also für insgesamt 27 Euro – der überraschende Vorstoß der Regierungskoalition dürfte sich vor allem für Fahrgäste toll anhören.
Doch bei den Ländern, Verkehrsverbünden und -unternehmen sorgte die Idee zunächst für Irritationen: Wie soll das bundesweit einheitliche Angebot auf die Schnelle in dem komplexen ÖPNV-Geflecht aus Tarifregelungen, Verbundgrenzen, finanziellen und regionalen Zuständigkeiten umgesetzt werden? Und wer soll das bezahlen?
Deutliche Kritik aus den Ländern
In einer Sonderkonferenz der Verkehrsminister von Bund und Ländern ging es dem Vernehmen nach deshalb hoch her, die Beratungen dauerten viel länger als geplant. Im Anschluss blieben zwar viele Fragen zur konkreten Umsetzung offen. Doch grundlegend in Frage stellte die Idee laut der Vorsitzenden der Verkehrsministerkonferenz, Bremens Bürgermeisterin Maike Schaefer, niemand. Trotzdem gab es viel Kritik am Vorgehen der Regierung.
Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) erläuterte im Anschluss erste Details: Demnach sollten die günstigeren Tickets ausschließlich online verkauft werden, um den administrativen Aufwand so niedrig wie möglich zu halten. Auch Fahrgäste, die bereits ein Abo haben, sollen laut Wissing von der Vergünstigung profitieren. Die Kosten für Abos würden dann nicht abgebucht – oder erstattet, machte der Minister deutlich. Die 9-Euro-Tickets gälten dann in den Verbundbereichen, in denen das sonst übliche Monatsticket auch gegolten hätte.
Wissing sprach von Kosten in Höhe von 2,5 Milliarden Euro, die der Bund den Ländern erstatte. Wenn mehr Geld notwendig sei, werde sich der Bund nicht verweigern.
Länder fordern Nulltarif statt 9-Euro-Tickets
Nun sollen Bund und Länder so schnell wie möglich in einer Arbeitsgruppe die konkrete Umsetzung voranbringen. Die Länder hatten bei der Sitzung am Freitag vor allem Bedenken bezüglich des bürokratischen Aufwands angemeldet und als Reaktion auf den Vorschlag der Bundesregierung eine eigene Empfehlung abgegeben: Statt 9-Euro-Tickets solle stattdessen ein dreimonatiger Nulltarif eingeführt werden.
Auf diese Weise könne der administrative Aufwand für die Verkehrsverbünde niedrig gehalten werden, betonte Schaefer. «Insofern ist das jetzt eine Empfehlung, die in einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe geprüft werden soll», sagte sie. Die Kosten müssten vollständig vom Bund getragen werden.
Wissing wies die Idee zurück. Mit einem 9-Euro-Ticket ließe sich die Nachfrage von Kundinnen und Kunden deutlich besser nachvollziehen als bei einem Nulltarif. «Bei dem 9-Euro-Ticket kennt man die Zahl der zusätzlichen Fahrgäste und kann entsprechend disponieren und vermeidet dadurch, dass es zu punktuellen Überlastungen kommt», sagte er.
Das fordern die Länder zusätzlich
Die Empfehlung der Landesministerien offenbarte die weiter bestehende Uneinigkeit zwischen Bund und Ländern in der Frage. Im Anschluss der Sitzung machten einige Verkehrsminister ihrem Unmut Luft. Er sei mit dem Beschluss sehr unzufrieden, sagte etwa Baden-Württembergs grüner Verkehrsminister Winfried Hermann. Der Vorstoß der Koalition werde dem Problem nicht gerecht. Wie viele seiner Amtskollegen betonte auch Hermann, dass ein Nulltarif für den Öffentlichen Personennahverkehr die bessere Lösung sei.
Auch im Sinne des Klimas bleibe der Bund zudem in der Pflicht, sich mehr für die Attraktivität des ÖPNV einzubringen, sagte Hermann. Dazu brauche es mehr Fahrzeuge, mehr Linien und mehr individuelle Angebote gerade auch für den ländlichen Raum. Mit Blick auf die jüngst stark gestiegenen Energiepreise erinnerte Hermann daran, dass diese auch schon vor der Ukraine-Krise stark gestiegen waren und auch in Zukunft weiter steigen würden.
Union spricht von «Schnellschuss»
Auch die unionsgeführten Bundesländer übten grundsätzliche Kritik an dem Vorstoß. Die Idee sei sein «Schnellschuss», ein «Lockangebot, sagte etwa Bayerns Verkehrsminister Christian Bernreiter (CSU). Er sprach dabei auch im Namen der übrigen Länder, in denen nicht die SPD die Koalition anführt. Kommunen und Verkehrsverbünde hätten keine Ahnung, wie sie den Beschluss umsetzen sollten.
Zudem sehe er eine Benachteiligung des ländlichen Raums, da hier weniger Menschen aufgrund der großen Distanzen den Öffentlichen Personennahverkehr nutzten. Die Pendler im ländlichen Raum müssten aber auch mehr entlastet werden. Wünschenswert wären etwa Änderungen an der Kfz-Steuer, generell sei in der Frage «das letzte Wort noch nicht gesprochen».
Start am 1. Mai anvisiert
Trotz der Skepsis aus den Ländern gab sich Bundesminister Wissing zuversichtlich, dass die Arbeitsgruppe nun schnell eingesetzt werden und zu Ergebnissen kommen könnte. Ein Start der günstigen Monats-Tickets zum 1. Mai sei eine «nicht unrealistische Option». Auch die Verkehrsbranche geht intern davon aus, dass die Umsetzung bis dahin machbar ist.
Nach der Sitzung am Freitag «werden sich die Verkehrsunternehmen und Verbünde, koordiniert über den Branchenverband VDV und weitere Verkehrsverbände, jetzt unmittelbar an die Realisierung des Angebots begeben», teilte der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) am Nachmittag mit. «Dafür sind noch zahlreiche Details zu klären und branchenweit sowie mit der Politik abzustimmen.»
Für Fahrgäste und Abo-Inhaber heißt das zunächst: Weiter abwarten. Verkehrsunternehmen und Verbünde werden demnach alle Kundinnen und Kunden informieren, sobald die Rahmenbedingungen geklärt sind.