Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) rechnet nicht mit einer baldigen Besserung der Lage an den Flughäfen mit zahlreichen Flugstreichungen und Verspätungen. «Die Situation im europäischen Luftverkehrssystem ist für alle eine enorme Herausforderung», sagte Wissing der «Bild am Sonntag».
Der Fachkräftemangel erreiche den Alltag der Menschen immer stärker. Kurzfristige Lösungen seien eher unwahrscheinlich. Der CSU-Verkehrsexperte Ulrich Lange kritisierte Wissing scharf: «Er kann sich nicht einfach achselzuckend wegducken und die Menschen mit dem von der Ampel mitverschuldeten Verkehrschaos allein lassen.»
Nach Einschätzung der stellvertretenden Verdi-Vorsitzenden Christine Behle, die auch stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende bei der Lufthansa ist, wird sich die Situation noch zuspitzen. «Der Sommer wird chaotisch», sagte Behle der «Augsburger Allgemeinen» (Montag). Ursache sei der europäische Zwangswettbewerb an den Flughäfen und die damit einhergehenden Einsparungen an Personalkosten um 30 bis 40 Prozent durch Outsourcing und Tarifflucht. Der Lockdown an den Flughäfen während der Corona-Pandemie habe außerdem zu Kurzarbeit und Entlassungen bei Dienstleistern geführt, zudem hätten sich Mitarbeiter andere Jobs gesucht. Dieses Personal fehle jetzt massiv, wo die Zahl der Buchungen wieder deutlich steige. «Es wird dramatisch werden», warnte Behle.
Kommt die Situation überraschend – oder nicht?
Die Vorsitzende des Verbands unabhängiger selbstständiger Reisebüros (VUSR), Marija Linnhoff, bezeichnete die Zustände an deutschen Flughäfen als «einfach unfassbar». Überraschend sei die Reiselust nicht, doch zwei Jahre Personalabbau rächten sich jetzt, sagte sie der «Bild am Sonntag». So kurz vor der Sommersaison müsse mit dem Schlimmsten gerechnet werden.
Die Airlines verteidigen sich. «Die Aufhebung der Reisebeschränkungen ist von den Regierungen sehr kurzfristig entschieden worden», sagte der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL), Matthias von Randow. Deshalb habe es keine verlässliche Planbarkeit bei der Personalausstattung für die Wiederaufnahme des Verkehrs gegeben.
Seit Wochen gibt es an Deutschlands Flughäfen massive Probleme wegen Personalmangels in der Branche, allein die Lufthansa will im Juli 900 Flüge in München und Frankfurt streichen. «Das Wichtigste in dieser Lage ist, dass schnell mehr Personal angeworben wird und Dienstleistungen wieder selbst von den Flughafengesellschaften erbracht und die Beschäftigten dort angestellt werden», forderte Gewerkschafterin Behle.
Vom Personalmangel in allen Dienstleistungsbereichen am Boden wie Sicherheitskontrolle, Check-in oder Gepäckabfertigung sind Verdi zufolge besonders die großen Flughäfen wie Frankfurt, Hamburg, Berlin und Düsseldorf betroffen. Auch in München fehle Personal, allerdings sei die Lage dort besser, weil das Sicherheitspersonal nicht bei einer Privatfirma angestellt sei, sondern bei einer Firma im Staatsbesitz, die nach dem Tarif des Öffentlichen Dienstes bezahle.
FDP-Fraktionschef Christian Dürr rief Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) auf, «schleunigst» mehr Bundespolizei an Flughäfen zu bringen, «damit die Schlangen an den Sicherheitskontrollen» kürzer werden. Und Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) solle dafür sorgen, «dass die Bodendienstleister schnell und unbürokratisch Leute einstellen können – gegebenenfalls mit befristeten Verträgen». Auch neues Personal aus dem Ausland wäre denkbar.