Der Verkehrssektor ist ein Sorgenkind beim Klimaschutz – nun könnte das Deutschlandticket ein starker Anreiz zum Umstieg vom Auto auf Busse und Bahnen werden. Wird der 49-Euro-Fahrschein auch zum «Klimaticket»? Aus Sicht der Verkehrsunternehmen und von Experten hat es großes Potenzial. Es gibt aber auch skeptische Stimmen.
«Wir erwarten, dass wir einen Beitrag für den Klimaschutz leisten, dass wir mehr Fahrgäste bekommen», sagt Oliver Wolff, Hauptgeschäftsführer des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV). Er betont die langfristige Auslegung des neuen Tickets. Die Politik hat betont, dass es dauerhaft angeboten werden soll.
«Jetzt habe ich eine echte Planungssicherheit über Jahre, dass es dieses Ticket gibt», sagt Wolff. «Und damit kann ich jetzt auch eine Entscheidung treffen: Wie gehe ich eigentlich mit meinem Auto um? Wie gehe ich mit dem Weg zur Arbeit um? Und da glaube ich schon, dass bei den Kosten, die wir im Moment alle haben, dass da echt ein Umstieg stattfindet.» Das 9-Euro-Ticket war im Sommer ein Erfolgsmodell – nach drei Monaten lief es aber aus.
Allianz pro Schiene: Riesenschritt fürs Klima
Bund und Länder hatten am Mittwoch mit einer Einigung über Finanzierungsfragen den Weg für ein 49-Euro-Monatsticket freigemacht. Geplant ist ein digitales, bundesweit gültiges Deutschlandticket. Die Allianz pro Schiene spricht von einem «Riesenschritt fürs Klima und eine Richtungsentscheidung für die Verkehrswende». Wann das Angebot startet, ist offen. Die Verkehrsunternehmen halten einen Start im Januar, wie von Bundesverkehrsminister Volker Wissing angestrebt, für nicht machbar. Realistisch sei eine Einführung am 1. März.
Jan Christian Schlüter von der Technischen Universität Dresden schätzt die Erfolgschancen ähnlich positiv ein wie der VDV. «Es ist ein Schritt in die richtige Richtung. Vor allem wegen der längeren Laufzeit: Die Leute können nun wirklich darüber nachdenken, ob sie mittelfristige Investitionen zurückstellen.» Konkret gemeint ist der Kauf eines neuen Autos. «Ich denke, dass einige die Neuanschaffung eines Autos verschieben – oder verzichten.»
Schlüter betont aber auch, dass Menschen in Städten stärker profitieren werden. Dort ist der öffentliche Nahverkehr deutlich besser ausgebaut als auf dem Land. «Das Ticket löst die Pendlerproblematik im ländlichen Raum nicht, kann aber den Bedarf für ÖPNV-Angebote verstärken.»
Experte: Menschen in den Speckgürteln profitieren
Ein Umstieg auf die Schiene gilt beim klimafreundlichen Umbau des Verkehrs als wünschenswert. Die CO2-Emissionen sind in diesem Bereich bisher nicht ausreichend gesunken, um Klimaziele erreichen zu können. Grundsätzlich mehr Verkehr hilft da nicht. Genau davor warnt Christian Böttger, Bahnexperte der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin. Die großen Profiteure des Tickets sind seiner Ansicht nach Menschen in den Speckgürteln großer Städte, die auf dem Weg etwa nach Berlin, Hamburg oder Frankfurt durch mehrere Tarifgebiete fahren und bisher entsprechend teure Monatskarten kaufen müssen. «Grundsätzlich schafft das Ticket damit einen Anreiz, weit zu fahren beziehungsweise weit zu pendeln», sagt Böttger. Die Bereitschaft, weiter vom Arbeitsplatz entfernt zu wohnen, könnte steigen.
Böttger sieht weitere Probleme auf den Nahverkehr zukommen. Ein Punkt: Die Verkehrsbetriebe verlieren ihm zufolge mit dem Einheitstarif ihre Preisautonomie. «Wenn sie mehr Kosten haben, können sie die Preise nicht mehr erhöhen.» Dann müssten die Verkehrsbetriebe auf Geld der Kommunen hoffen – in zahlreichen Städten und Gemeinden sind die Kassen aber leer. Kürzungen des Angebots wären die Folge.
Ausbau der Infrastruktur gefordert
Der größere Hebel für deutliche Veränderungen sei der Ausbau der Infrastruktur und der «relativen Attraktivität» des Nahverkehrs, etwa durch stärkere Belastungen für Autofahrer, meint Böttger. Um eine Überlastung des Nahverkehrs durch das neue Ticket zu vermeiden, hält er ein Abo-Modell für sinnvoll. Damit würden spontane Kurzurlaube etwa per Bahn ans Meer unwahrscheinlicher und die Züge nicht so voll. Ein wichtiger Punkt – immerhin führte das 9-Euro-Ticket auch zu Frust, weil manche Züge durch Ausflügler überfüllt waren oder genervte Fahrgäste das Bahnpersonal angriffen.
Beim 9-Euro-Ticket im Sommer stiegen nach einer Bilanz des VDV auf Grundlage einer bundesweiten Marktforschung im August 17 Prozent der Nutzer von anderen Verkehrsmitteln wie dem Auto oder dem Fahrrad auf den öffentlichen Personennahverkehr um. 10 Prozent der Käufer des Billigfahrscheins hätten auf mindestens eine ihrer täglichen Autofahrten verzichtet. Jeder fünfte Käufer sei Neukunde gewesen.