Versicherer in Deutschland werden bei Investitionen in Atomkraft nach Einschätzung eines Branchenexperten Vorsicht walten lassen. «Ich glaube, dass Versicherer das allgemein eher ausschließen werden wegen der kritischen Haltung vieler Menschen zur Atomkraft in Deutschland», sagte der Vorsitzende der Deutschen Aktuarvereinigung, Herbert Schneidemann, den Nachrichtenagenturen dpa und dpa-AFX. «Ich persönlich glaube, es wird sich kaum ein Unternehmen leisten können, Atomkraft in Deutschland als grün zu bezeichnen und sich dann auf die EU-Taxonomie zu berufen.»
Aktuare sind Versicherungsmathematiker, die mit Methoden der Wahrscheinlichkeitstheorie und der Statistik finanzielle Unsicherheiten bei Versicherungen bewerten.
Die EU-Kommission in Brüssel hat mit der Taxonomie eine Art Katalog für klimafreundliche Investitionen auf den Weg gebracht. Für Kritik sorgt, dass es in diesem Rahmen von Januar 2023 an auch als klimafreundlich gilt, Geld in bestimmte Gas- und Atomkraftwerke zu stecken. «Atomkraft wäre klimatechnisch eine gute Technik, aber sie ist etwas, das auf Kosten der Zukunft geht», sagte der Versicherungsmathematiker und Vorstandschef der Versicherungsgruppe Die Bayerische.
Grundsätzlich sieht Schneidemann gute Chancen für einen Beitrag der Branche zum Klimaschutz. Dabei könnten Versicherer Investitionen als Hebel nutzen, damit Unternehmen sich bewegen und grüner werden. Neben Investitionen beispielsweise in Windkrafträder könne die Branche mindestens genauso viel bewegen, wenn sie dabei helfe, «braune Industrien ein Stück weit grüner zu machen. Es hilft ja nicht weiter, wenn man der braunen Industrie sagt: Ihr bekommt kein Geld mehr von uns.» Er halte daher eine schrittweise Transformation des Kapitalanlagevermögens der Versicherer für wichtig. Nach jüngsten Daten des Versicherungsverbandes GDV belief sich der Kapitalanlagenbestand der Branche Ende 2020 auf knapp 1,8 Billionen Euro.