2022 sind ein Ende russischer Energielieferungen an Deutschland und damit einhergehende einschneidende wirtschaftliche Auswirkungen auf die deutsche Konjunktur aus Sicht deutscher Volkswirte wahrscheinlicher geworden. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Sven Hoppe/dpa)

Ein Ende russischer Energielieferungen auch an Deutschland und damit einhergehende einschneidende wirtschaftliche Auswirkungen auf die deutsche Konjunktur sind aus Sicht deutscher Volkswirte wahrscheinlicher geworden.

«Wir stehen mit einem Bein im Blackout-Szenerio», sagte Allianz-Volkswirtin Katharina Utermöhl in einer Umfrage der Deutschen Presse-Agentur. Damit beschreibt sie das Szenario, das eintreten würde, wenn Energielieferungen aus Russland eingestellt würden. Die Folge wäre aus ihrer Sicht ein Wirtschaftswachstum von nur noch 0,9 Prozent im laufenden Jahr und ein Rückgang der Wirtschaftsleistung um 1,4 Punkte im kommenden Jahr.

Auch Marc Schattenberg, Volkswirt und Arbeitsmarktexperte bei der Deutschen Bank Research, warnt vor der Möglichkeit des russischen Energieembargos. «Ein Stopp der Gaseinkäufe seitens der EU und Deutschlands ist bisher nicht beschlossen. Man kann aber eine Unterbrechung seitens Russlands nicht ausschließen», betonte er. Zuletzt hatte Russland den beiden EU-Ländern Polen und Bulgarien den Gashahn zugedreht.

KfW: Wirtschaftswachstum keine ausgemachte Sache

Ähnlich sieht es die Chefvolkswirtin der staatlichen Bankengruppe KfW, Fritzi Köhler-Geib. Auch sie hält Wirtschaftswachstum in Deutschland nicht mehr für eine ausgemachte Sache. «Ohne ein Energieembargo dürfte die deutsche Wirtschaft in diesem Jahr immer noch spürbar wachsen. Doch angesichts der großen Abwärtsrisiken könnte es auch anders kommen», sagte sie.

Die Gefahr fällt in eine ungünstige Zeit: Mit den unterbrochenen Lieferketten wegen Engpässen in China, der noch immer existierenden Beeinträchtigungen wegen des Kampfes gegen Corona, des Mangels an Fachkräften und der kriegsbedingten Preissteigerungen kommt ein ganzer Mix aus negativen Faktoren für die Konjunktur zusammen.

Auch die Wirtschaftsweise Veronika Grimm aus dem Sachverständigenrat der Bundesregierung sieht Schlechtwetter für die deutsche Wirtschaft aufziehen. «Es ist zu erwarten, dass die Energiepreise auf hohem Niveau bleiben werden. Das ist längerfristig eine große Herausforderung für die Wettbewerbsfähigkeit», sagt sie.

Es müsse nun so schnell wie möglich in die Erzeugung erneuerbarer Energien in Deutschland investiert werden. «Es müssen jetzt schnell die Investitionen getätigt werden, damit überhaupt schnell genügend Anlagen gebaut werden können», sagte Grimm. «Energiepolitik ist auch Sicherheitspolitik – das ist jetzt deutlich geworden.» Der Staat könne auch nicht dauerhaft für hohe Preise geradestehen.

Prognose: Reallöhne sinken wegen Inflation

Auch KfW-Expertin Köhler-Geib hält die hohen Preise für ein großes wirtschaftliches Risiko. «Die steigenden Energiepreise haben im März zu einer Rekordinflation geführt und senken die Kaufkraft», betont sie. Die Reallöhne würden in diesem Jahr aufgrund der anhaltend hohen Inflation voraussichtlich sinken. «Im vierten Quartal 2021 stiegen die tariflichen Stundenlöhne um 1,1 Prozent – bei einer Inflationsrate von 5 Prozent», veranschaulichte die Volkswirtin. Allianz-Kollegin Utermöhl spricht sogar vom «schärfsten Rückgang der Reallöhne seit der deutschen Wiedervereinigung.»

«Noch nie waren die Haushalte so pessimistisch wie jetzt. Wir erwarten einen herben Rückschlag beim Konsum», sagt Utermöhl. Mit Verzögerung werde die Problematik auch auf dem bisher weitgehend verschonten Arbeitsmarkt ankommen. Ihr Deutsche-Bank-Kollege Schattenberg pflichtet bei: Spätestens dann, wenn es zu einer Unterbrechung russischer Gaslieferung komme, werde die positive Entwicklung auf dem deutschen Arbeitsmarkt erst einmal beendet sein.

Von Michael Donhauser, dpa

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