Zum Ende der Woche wird es ernst für den Kern der deutschen Industrie. In den Tarifverhandlungen der Metall- und Elektroindustrie mit ihren fast vier Millionen Beschäftigten läuft am Freitag die Friedenspflicht aus.
Ab Samstag sind Warnstreiks beispielsweise bei Autoherstellern, Maschinenbauern oder anderen Metallbetrieben möglich. Die Aktionsplanungen der IG Metall, die 8,0 Prozent mehr Geld fordert, laufen bereits auf Hochtouren. Schon in der Nacht zum Samstag (29. Oktober) könnten erste Schichten ausfallen.
Zuvor treffen sich am Donnerstag die regionalen Verhandler in den Tarifgebieten Bayern, Baden-Württemberg, Küste und Mitte (Hessen, Rheinland-Pfalz, Saarland) zur jeweils dritten Runde. Der Arbeitgeberverband Gesamtmetall hat bislang offen gelassen, ob und wo ein erstes Angebot auf den Tisch gelegt oder weiter an der Forderung nach einer Nullrunde festgehalten wird. Am Freitag folgen dann die Gespräche in den übrigen Tarifgebieten, doch bereits am Donnerstag dürfte die Richtung feststehen.
Reallohnverluste das dritte Jahr in Folge
Mit 8,0 Prozent bei einer Laufzeit von zwölf Monaten hat die Gewerkschaft die höchste Forderung seit dem Jahr 2008 vorgelegt. Dabei ist jetzt schon klar, dass damit die erwartete Teuerung selbst bei vollständiger Erfüllung nicht ausgeglichen werden könnte.
In ihrem Herbstgutachten gehen die Wirtschaftsforschungsinstitute für das kommende Jahr von 8,8 Prozent Teuerung aus. Den Beschäftigten der Hochlohnbranchen Metall und Elektro drohen somit das dritte Jahr in Folge Reallohnverluste. Die IG Metall verlangt daher auch für die Arbeitnehmerhaushalte wirksame Hilfen des Staates zum Ausgleich der galoppierenden Preise für Energie und andere Waren.
Die hohe Inflation macht Unternehmen wie Gewerkschaften gleichermaßen zu schaffen. Angesichts der hohen Lebenshaltungskosten spüre man einen extremen Druck, mit einem guten Ergebnis abzuschließen, meinte kürzlich IG-Metall-Chef Jörg Hofmann. «Wir haben viel Thermik in den Betrieben zu dieser Frage.» Die Gewerkschaft verweist auf hohe Gewinne insbesondere der Autoindustrie und volle Auftragsbücher bei den meisten Unternehmen, die durchaus in der Lage seien, ihre Kostensteigerungen an die Kunden weiterzureichen.
Wolf warnt vor Stornierungen wegen Rezession
Gesamtmetall-Präsident Stefan Wolf betont hingegen die extreme Unsicherheit der Unternehmen zu ihren Lieferketten und der wackeligen wie teuren Energieversorgung. Die teils sehr hohen Auftragsbestände seien «nicht echt», weil in der anstehenden Rezession zahlreiche Stornierungen zu erwarten seien, sagte er vor wenigen Tagen in einem Zeitungs-Interview.
Wolf setzte sich leicht von seiner Nullrunden-Forderung ab: Die habe er für ein Szenario beschrieben, in dem ein Gasmangel zu Produktionsstopps und Lieferkettenabrissen führe. «In so einem Fall würde sich dann natürlich auch jede Verteilungsdebatte erübrigen.»
Wolf ließ stattdessen erkennen, was die Arbeitgeber in den laufenden Verhandlungen erreichen wollen: Lange Laufzeit, möglichst automatische Differenzierung für schwächere Betriebe sowie die Nutzung der abgabenfreien Spielräume. Denn die Bundesregierung hat für Metall wie auch für die folgenden Tarifrunden eine wichtige Rahmenbedingung gesetzt:
Innerhalb der kommenden beiden Jahre können demnach bei jedem Beschäftigten bis zu 3000 Euro Lohnsteigerungen steuer- und abgabenfrei gestellt werden. Durchaus offen ist die Frage, ob dies in der Metall- und Elektroindustrie auf Einmalzahlungen oder dauerhafte Lohnbestandteile angerechnet wird.
Größter «Schluck aus der Pulle»
Wohin die Reise gehen könnte, zeigt der vor wenigen Tagen gezimmerte Abschluss der Chemie-Industrie. Ganz ohne Streiks einigten sich IG BCE und Arbeitgeber auf ein Paket aus steuerbefreiten Einmalzahlungen und zwei prozentualen Erhöhungen, die dauerhaft in den Lohntabellen bleiben.
Zweimal 1500 Euro steuerfrei plus zwei Stufen von je 3,25 Prozent ergeben nach Rechnung der IG BCE im Schnitt fast 13 Prozent Erhöhung für die Laufzeit von 20 Monaten. Und das ist für die Chemie-Beschäftigten zwar der größte «Schluck aus der Pulle» seit mehr als 30 Jahren, kann aber die Inflation möglicherweise auch nicht vollständig ausgleichen.