Blick auf Rohrsysteme und Absperrvorrichtungen in der Gasempfangsstation von Nord Stream 2. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Stefan Sauer/dpa)

Eine Eskalation in der Ukraine-Krise könnte zu steigenden Gaspreisen führen. Mögliche Sanktionen gegen Russland im Energiebereich würden in jedem Fall auch europäische Verbraucher treffen, sagte Timm Kehler, Vorstand des Branchenverbands Zukunft Gas, der Deutschen Presse-Agentur.

Preissteigerungen würden mittels langfristiger Verträge verzögert an die Verbraucher weitergegeben. Die Energieexpertin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung sagte der dpa: «Ohne Frage sind wir in einer sehr ernsten Situation, auch inmitten eines fossilen Energiekrieges.»

Die Energiewende müsse angeschoben werden, um möglichst wegzukommen von allen fossilen Energien. «Die Gaspreise sind ja schon aufgrund der schwierigen Lage gestiegen und es ist jetzt auch eher mit weiteren Preissteigerungen zu rechnen», sagte Kemfert. «Wir zahlen derzeit den Preis für die verschleppte Energiewende.»

Derweil hat Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck einen Ausgleich für kurzfristige Preisanstiege bei Gas in Aussicht gestellt. «Was die kurzfristigen Preisanstiege und die Belastung für Verbraucher und Unternehmen angeht, werden wir Entlastung an anderer Stelle schaffen», sagte der Grünen-Politiker im Deutschlandfunk. «Wir können ja kaum in den Weltmarktpreis eingreifen, bei Gas oder bei Öl. Wir werden aber die EEG-Umlage abschaffen. Wir werden sozialpolitisch gegenhalten.»

Das Wichtigste sei zunächst, dass Deutschland genug Gas habe, sagte Habeck. Dafür sei mit vielen Vorbereitungen gesorgt. Die Gasversorgung sei daher sicher. Die Energiefrage sei zu einer sicherheitspolitischen Frage geworden. Auf die Frage, ob Deutschland komplett auf russisches Gas verzichten könne, sagte Habeck: «Ja, kann es.» Die Möglichkeit, dass Deutschland genug Gas und genug Rohstoffe ohne Lieferungen aus Russland bekomme, sei gegeben. Habeck schränkte aber ein, dass die Kosten dafür deutlich höhere Preise seien.

Sanktionen gegen Energiesektor vorbereitet

Nach der russischen Anerkennung der selbst ernannten Volksrepubliken Luhansk und Donezk in der Ostukraine plant die EU-Kommission Maßnahmen gegen Russland im Finanzbereich. Sanktionen zum Beispiel gegen den russischen Energiesektor sind für den Fall vorbereitet worden, dass Russland einen Angriff auf die ganze Ukraine starte.

Kerstin Andreae, Chefin des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft, sagte der dpa: «Wenn die Lieferungen aus Russland von einem Tag auf den anderen ausfallen, ist das eine große Herausforderung, vor der die Bundesregierung und die Energiewirtschaft dann stehen würden. Aber wir haben in Europa Sicherungsmechanismen, die dann greifen. In jedem Fall sind Haushaltkunden und verschiedene Einrichtungen durch gesetzliche Bestimmungen besonders geschützt. Auch würden vertraglich geregelte Abschaltvereinbarungen mit der Industrie oder der Wechsel auf andere Energieträger die Nachfrage nach Gas drosseln.»

Situation wäre «schwierig, aber zu meistern»

Deutschland beziehe Erdgas auch aus weiteren Lieferländern, so Andreae. «Zudem besteht die Möglichkeit, in gewissem Umfang zusätzliche Flüssiggas-Mengen beispielsweise aus den USA zu beziehen. Man würde prüfen: Welche Alternativen gibt es? Wo gibt es noch Mengen in Speichern? Wer könnte zusätzlich Mengen liefern? Wo kann reduziert werden? Zudem ist Deutschland keine Insel, sondern Teil eines europäischen Erdgas-Versorgungsystems, in dem sich die EU-Staaten im Bedarfsfall gegenseitig unterstützen.» Hierzu gebe es entsprechende verbindliche Vorsorge-Pläne. «Aktuelle Berechnungen der Bundesregierung zeigen, dass Deutschland voraussichtlich auch dann über den Winter kommt, wenn Russland seine Erdgaslieferungen komplett einstellen würde. Die Situation wäre also schwierig, aber sie ist zu meistern.»

Kehler von Zukunft Gas sagte: «Wir beobachten die Lage in der Ukraine mit großer Sorge. Wir hoffen, dass die Diplomatie doch noch Erfolg hat und kein kriegerischer Konflikt eintritt.» Europa sei abhängig von Energieimporten. Umso wichtiger sei jetzt, weiter über eine Diversifizierung der Gasversorgung nachzudenken und auch den Bau eines deutschen LNG-Terminals voranzutreiben.

Stopp für Nord Stream 2

Zukunft Gas bedauere den Stopp des Zertifizierungsprozesses für die Pipeline Nord Stream 2 – dies hatte die Bundesregierung beschlossen. «Die Pipeline leistet einen Beitrag zur Schließung der wachsenden Importlücke in Europa, insbesondere mit Blick auf den nächsten Winter wird die Versorgungslage nicht einfacher. Die europäische Importlücke kann auch mit neuen LNG-Terminals nur zum Teil und zu höheren Kosten gefüllt werden. Und selbstverständlich treffen die Sanktionen gegen Nord Stream 2 auch die europäischen Projektpartner.»

Kemfert sagte, Deutschland sei sehr abhängig von russischen Gaslieferungen. Über 50 Prozent der Gaslieferungen kämen aus Russland. Mit der Inbetriebnahme von Nord Stream 2 würde der Anteil noch deutlich steigen auf knapp 70 Prozent. «Das ist tatsächlich eine zu starke Abhängigkeit, auch eine gefährliche Abhängigkeit.»

Kurzfristig könne Deutschland einen Teil der möglichen Gaslieferungen auch aus anderen Quellen beziehen. «Zudem sind wir ja derzeit auch am Ende des Winters.» Wie es im nächsten Winter sein werde, hänge entscheidend davon ab, ob es gelinge, etwa eine strategische Gasreserve einzurichten.

Milde Temperaturen als Voraussetzung

Der Branchenverband der Speicherunternehmen, die Initiative Energien Speichern (INES), geht davon aus, dass die deutsche Gasversorgung in den kommenden Tagen und Wochen einen Ausfall aller russischen Gasimporte überstehen könne. Bedingung sei, dass die Temperaturen weiterhin mild blieben und ausreichend Flüssig-Erdgas (LNG) für den EU-Binnenmarkt verfügbar sei, sagte Verbandsgeschäftsführer Sebastian Bleschke. «Da eine solche Situation in der Vergangenheit bislang noch nicht aufgetreten ist, bleibt allerdings eine gewisse Unsicherheit bestehen.»

Die Füllstände der Speicher in Deutschland hätten am vergangenen Sonntag bei rund 31 Prozent gelegen. «Die Füllstände sind also weiterhin sehr niedrig, aber nicht mehr historisch tief.» Laut INES gibt es in Deutschland 47 Untertagespeicher, die von rund 25 Firmen betrieben werden. Die Speicher gleichen Schwankungen beim Gasverbrauch aus und bilden damit eine Art Puffersystem für den Gasmarkt.

IfW: Energie-Embargo träfe Deutschland kaum

Ein Energieembargo der EU gegen Russland würde die russische Wirtschaft nach Einschätzung des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW) hart treffen – die Wirtschaft in Deutschland und der EU aber kaum. Der Ökonom Hendrik Mahlkow habe simuliert, mit welchen Handelssanktionen der Westen die russische Wirtschaft am härtesten treffen würde, berichtete das IfW.

«Demnach hätte ein Handelsstopp mit Gas einen Einbruch der russischen Wirtschaftsleistung um knapp 3 Prozent zur Folge, ein Handelsstopp mit Öl einen Einbruch um gut 1 Prozent», lautet der Befund. «Für Deutschland und die EU wären die wirtschaftlichen Schäden in beiden Fällen äußerst gering.» Dabei spielt laut IfW keine Rolle, ob ein Einfuhrembargo seitens der EU verhängt würde, oder ob Russland ein Lieferembargo beschlösse.

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