Lastwagen transportieren Kohle bei Nowokusnezk in Sibirien. (Archivbild) (Urheber/Quelle/Verbreiter: Christian Thiele/dpa)

Die 27 EU-Staaten haben das fünfte große Paket mit Russland-Sanktionen auf den Weg gebracht.

Die von den ständigen Vertretern der Mitgliedstaaten am Donnerstagabend gebilligten Vorschläge der EU-Kommission enthalten auch einen Importstopp für Kohle – erstmals wird damit ein Energieembargo verhängt.

Welche Bedeutung hat russische Steinkohle bisher?

Fast die Hälfte der 31,82 Millionen Tonnen, die die Bundesrepublik 2020 importierte, kam nach Angaben des Vereins der Kohlenimporteure aus Russland. Mit großem Abstand folgten die Herkunftsländer USA und Australien. Die Zahlen umfassen sowohl Steinkohle als auch das Kohleprodukt Koks, das zum Beispiel in der Stahlherstellung genutzt wird. Nach Angaben des Wirtschaftsministeriums machte vor dem Ukraine-Krieg russische Kohle rund 50 Prozent des deutschen Steinkohleverbrauchs aus.

Gelingt es, diesen Anteil zu verringern als Reaktion auf den Krieg?

Der Anteil der russischen Steinkohle wird bereits verringert. Wie das Wirtschaftsministerium kürzlich in einem «Fortschrittsbericht Energiesicherheit» mitteilte, wird ein Großteil der Betreiber von Kraftwerken bis zum Frühsommer gänzlich auf russische Steinkohle verzichten beziehungsweise den Einsatz stark reduzieren.

Auch bei den großen industriellen Nutzern von Kohle, vor allem der Stahlindustrie, erfolge bereits eine Umstellung der Lieferverträge. Durch die Vertragsumstellungen sinke die Abhängigkeit bei Kohle in den nächsten Wochen von 50 Prozent auf rund 25 Prozent – dies sei schon ab April Schritt für Schritt wirksam: «Bis zum Herbst kann Deutschland unabhängig von russischer Kohle sein.»

Welche Folgen könnte ein Importstopp haben?

Das hängt vor allem vom Zeitpunkt ab. Das jetzt beschlossene EU-Paket sieht eine Übergangsfrist für den Importstopp vor – auf Wunsch von Ländern wie Deutschland von vier Monaten. Die Kommission hatte drei Monate vorgeschlagen. In einem Bericht des Wirtschaftsministeriums an den Wirtschaftsausschuss des Bundestags hieß es, die Umstellung der Lieferketten sei noch nicht vollzogen, so dass es bei einem sofortigen Lieferstopp nach wenigen Wochen zu Kohleknappheit kommen könnte. Das wiederum könne Auswirkungen auf den Stromsektor haben.

Würden die russischen Importmengen kurzfristig ausfallen, würde für die Stromerzeugung auf Vorräte an den Kraftwerksstandorten und zwischengelagerte Steinkohle in Häfen zurückgegriffen: «Diese Vorräte reichen für etwa vier bis sechs Wochen je nach Betrieb des Kraftwerks.» Nach einem Verbrauch der Vorräte wären voraussichtlich einzelne Kraftwerke abzuschalten.

Welche Alternativen gibt es?

Bei der Kohle kann Deutschland im Vergleich zum Öl und vor allem zum Gas die Abhängigkeit von Russland am schnellsten verringern. Steinkohleimporte aus Russland könnten in wenigen Monaten vollständig durch andere Länder ersetzt werden – insbesondere aus den USA, Kolumbien und Südafrika, teilte Anfang März der Verein der Kohlenimporteure mit. Es gebe einen gut funktionierenden, liquiden Weltmarkt und es seien ausreichende Mengen vorhanden. Deutschland sei auch nicht von den besonderen qualitativen Eigenschaften russischer Kohle abhängig, da bei Steinkohle unterschiedliche Qualitäten leicht gemischt werden könnten, um technische Parameter zu erfüllen.

Welche Rolle spielen die deutschen Braunkohlereviere?

Der einzige fossile Energieträger in Deutschland, der nicht importiert werden muss, ist Braunkohle. Von den 107,4 Millionen Tonnen Braunkohle, die 2020 laut Bundesverband Braunkohle in Deutschland abgebaut wurden, kam knapp die Hälfte aus dem Rheinland, rund 40 Prozent aus der Lausitz und knapp 12 Prozent aus Mitteldeutschland. Braunkohle hatte 2021 laut AG Energiebilanzen einen Anteil von 9,3 Prozent am gesamten Primärenergieverbrauch. Der Anteil der Steinkohle lag bei 8,6 Prozent – Erdgas hatte einen Anteil von 26,7 Prozent.

Was hat Deutschland insgesamt an heimischen Energieträgern?

Nicht so viel. Weniger als ein Drittel (29 Prozent) des Energiebedarfs konnte Deutschland 2020 laut Weltenergierat, einem internationalen Zusammenschluss von Branchenverbänden und Unternehmen, aus heimischen Quellen decken. Erneuerbare Energien etwa aus Wind und Sonne sowie Braunkohle sind demnach die einzig nennenswerten heimischen Energieträger. Die Bundesrepublik deckt hier ihren gesamten Verbrauch selbst. Die übrigen 71 Prozent wurden importiert: Steinkohle zu 100 Prozent, Öl und Erdgas zu je mehr als 95 Prozent.

Wofür wird Kohle in Deutschland verwendet?

Knapp die Hälfte der in Deutschland verbrauchten Steinkohle wurde im vergangenen Jahr zur Stahlerzeugung genutzt. Die andere Hälfte wurde in Kraftwerken entweder zur Strom- oder Wärmeproduktion verwendet. Ein sehr geringer Anteil ging in die Wärmeerzeugung in Industriebetrieben. Die in Deutschland abgebaute Braunkohle wird zum Großteil zur Stromerzeugung genutzt.

Bis wann will Deutschland aus der Kohle aussteigen?

2038 lautet das gesetzlich festgeschriebene Enddatum. Die Ampel-Regierung will es allerdings schon bis 2030 schaffen – «idealerweise». Dieses angepeilte Datum steht laut Wirtschaftsministerium auch nicht in Frage. Der Ausstieg hängt aber davon ab, ob der angestrebte stärkere Ausbau des Ökostroms aus Wind und Sonne gelingt. Vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges sollen mehr Kraftwerke, die vom Netz gehen, in die Reserve – die Bedeutung der Kohle könnte wieder steigen.

Was bedeutet das für den Klimaschutz?

Kurzfristig sei zu erwarten, dass Deutschland dadurch mehr Treibhausgase ausstoße, sagte Klima-Staatssekretär Patrick Graichen jüngst. «Im Strommarkt erwarte ich 2022 tendenziell eher noch mal etwas steigende Emissionen, aber das heißt nicht, dass das auch für die Gesamttreibhausgasbilanz gilt», sagte Graichen. Er versicherte, die Regierung wolle den Klimaschutz umso entschiedener vorantreiben.

Auch Greenpeace geht davon aus, dass im kommenden Winter 2022/23 in Deutschland Steinkohlekraftwerke die Stromproduktion durch Gaskraftwerke schon allein aus ökonomischen Gründen ersetzen werden. Grund seien die voraussichtlich hohen Gaspreise, sagte der Klima- und Energieexperte der Umweltschutzorganisation, Karsten Smid. Gezwungenermaßen würde in der Folge auch der CO2-Ausstoß steigen.

Von Martina Herzog, Andreas Hoenig und Laura Dubois, dpa

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