Die Auswirkungen der Corona-Krise mit Lieferengpässen verhindern in diesem Jahr einen kräftigen Wirtschaftsaufschwung in Deutschland.
Die «Wirtschaftsweisen» senkten ihre Konjunkturprognose für 2021 und erwarten erst im kommenden Jahr ein starkes Plus beim Bruttoinlandsprodukt. Allerdings gebe es für die weitere wirtschaftliche Entwicklung bedeutenden Risiken, heißt es in dem am Mittwoch vorgelegten Jahresgutachten des Sachverständigenrats. Um den tiefgreifenden Strukturwandel zu bewältigen, forderten die Ökonomen mehr Anstrengungen bei Bildung, Klimaschutz und Digitalisierung. Unterschiedliche Meinungen im Rat gibt es darüber, wie der Staat zusätzliche Investitionen finanzieren soll.
Für das laufende Jahr erwartet der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung nach dem coronabedingten Einbruch 2020 ein Wachstum der Wirtschaftsleistung um 2,7 Prozent – im März war noch mit einem Plus um 3,1 Prozent gerechnet worden. Die Bundesregierung erwartet ein Wachstum um 2,6 Prozent, auch sie hat ihre Prognose gesenkt.
«Insbesondere die weltweiten Liefer- und Kapazitätsengpässe treffen die stark in globale Wertschöpfungsketten eingebundene deutsche Industrie», heißt es im Gutachten. Diese Engpässe sind auch eine Folge des Wiederanziehens der Weltwirtschaft. «Steigende Energie-, Rohstoff- sowie Transportkosten belasten die Gewinnspannen der Unternehmen und dürften zumindest teilweise auf die Verbraucherinnen und Verbraucher überwälzt werden.»
Erneute umfassende pandemiebedingte Einschränkungen oder länger anhaltende Liefer- und Kapazitätsengpässe könnten die Erholung stärker beeinträchtigen als in der Prognose unterstellt, heißt es weiter. Mit einem erneuten Lockdown rechnet der «Wirtschaftsweise» Volker Wieland aber nicht. Er machte deutlich, die anhaltende Pandemie werde daher nicht zu einem Absturz der Konjunktur führen.
Im Gutachten heißt es, wenn die Engpässe schneller überwunden werden, eröffneten sich Chancen, dass die aufgestaute Konsum- und Investitionsnachfrage für einen dynamischeren Aufschwung sorge. Seit Beginn der Pandemie legen viele Verbraucher Geld auf die hohe Kante, die Sparquote der privaten Haushalte ist gestiegen. Für 2022 erwarten die «Wirtschaftsweisen» einen Zuwachs des Bruttoinlandsprodukts um 4,6 Prozent. Das Vorkrisenniveau werde vermutlich im ersten Quartal 2022 wieder erreicht.
Auch bei der Inflation sehen die die «Wirtschaftsweisen» Risiken. Sie erwarten für das Gesamtjahr eine Inflationsrate von 3,1 Prozent und eine schwächere von 2,6 Prozent 2022. Nach Daten des Statistischen Bundesamtes lag die Inflation im Oktober bei 4,5 Prozent. Allerdings bergen laut Gutachten länger anhaltende Lieferengpässe, höhere Lohnabschlüsse und steigende Energiepreise das Risiko, dass «eigentlich temporäre Preistreiber» zu anhaltend höheren Inflationsraten führen könnten.
Die Arbeitslosenquote dürfte laut Prognose von 5,9 Prozent im Jahr 2020 auf 5,7 Prozent in diesem Jahr und 5,1 Prozent 2022 fallen. Insbesondere die Pandemie sei aber ein erhebliches Risiko für die Erholung des Arbeitsmarkts, heißt es: «Kommt es erneut zu Einschränkungen, beispielsweise in der Gastronomie, kann der positive Trend deutlich schwächer ausfallen.»
Die geschäftsführende Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte bei der Übergabe des Gutachtens mit Blick auf den Titel «Transformation gestalten», dieses komme zu einem richtigen Zeitpunkt, um noch «Inspiration» zu geben für die, die jetzt verhandeln.
Eine große Rolle bei den Koalitionsverhandlungen von SPD, Grünen und FDP spielt die Frage, wie zusätzliche staatliche Milliardeninvestitionen in Klimaschutz oder Digitalisierung finanziert werden sollen. Auf Verlangen der FDP sollen Steuern nicht erhöht werden, die Schuldenbremse soll ab 2023 wieder greifen. In der Debatte ist daher, Aufgaben verstärkt über öffentliche Investitionsgesellschaften oder Unternehmen des Bundes wie die Deutsche Bahn zu finanzieren.
Bei den derzeit nur vier Mitgliedern des eigentlich fünfköpfigen Sachverständigenrats gibt es aber unterschiedliche Meinungen darüber – es kam zu einem Patt. Zwei Ratsmitglieder sind für den Weg über solche Extrahaushalte, zwei sind skeptisch. In dem Gutachten werden daher zwei Sichtweisen skizziert – ein ungewöhnlicher Vorgang.
Der «Weise» Achim Truger sagte, es sei durchaus sinnvoll, Ausgaben über Kredite bei öffentlichen Gesellschaften zu finanzieren. Es sollten Spielräume ausgelotet und genutzt werden. Dagegen sagte Ratsmitglied Veronika Grimm der dpa, die These, dass nicht genügend Geld für Investitionen vorhanden sei, stimme so nicht. Die mittelfristige Finanzplanung im Bundeshaushalt sehe Investitionen von 50 Milliarden Euro pro Jahr vor. Es könnten außerdem finanzielle Spielräume geschaffen werden, etwa durch den Abbau klimaschädlicher Subventionen. «Es kommt vor allem darauf an, Hemmnisse für private Investitionen zu beseitigen und die realwirtschaftlichen Rahmenbedingungen konsequent auf den Klimaschutz auszurichten.»