Zu einer Rezession in Deutschland kommt es nicht – ein nachhaltiger Aufschwung aber ist noch nicht in Sicht. Die hohe Inflation schmälert die Kaufkraft der Verbraucherinnen und Verbraucher, und schlechtere Finanzierungsbedingungen wegen steigender Zinsen bremsen die Konjunktur. Dazu kommt eine Weltwirtschaft, die sich nur langsam von den Corona-Folgen erholt. Das sind die Kernbotschaften der fünf «Wirtschaftsweisen».
Man müsse damit rechnen, dass die starke Teuerung das Wachstum bis weit ins kommende Jahr hinein dämpfen werde, sagte Monika Schnitzer, Vorsitzende des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, am Mittwoch in Berlin.
Vor allem dank des milden Winters traten die schlimmsten Szenarien nicht ein – etwa eine Gasmangellage, die tiefe Spuren hinterlassen hätte. Die Wirtschaft habe sich im Winterhalbjahr widerstandsfähig gezeigt, sagte Schnitzer. «Insgesamt erholt sich die Konjunktur aber langsam.» Erheblicher ökonomischer Schaden könnte dem Gremium zufolge durch eine mögliche Gasmangellage im kommenden Winter entstehen. Wenn die Disziplin beim Energiesparen nachlasse, drohe Deutschland ein harter Winter 2023/2024.
Rezession: Deutschland kriegt die Kurve
Für das laufende Jahr dürfte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) nach Einschätzung der «Wirtschaftsweisen» um 0,2 Prozent wachsen. Diesen Wert sagt auch die Bundesregierung voraus. An einer Rezession schrammt die Bundesrepublik damit haarscharf vorbei. Die «Wirtschaftsweisen» waren zuvor davon ausgegangen, dass das BIP 2023 um 0,2 Prozent schrumpfen wird. Für das kommende Jahr haben die Sachverständigen ein Wachstum von 1,3 Prozent auf dem Zettel.
Aufgrund einer drohenden Gasmangellage durch den Stopp russischer Lieferungen hatten sie im Herbst noch eine Rezession vorausgesagt. Zwar entspannte sich die Lage an den Energiemärkten seitdem. Die deutsche Wirtschaft startet aber laut der Prognose noch nicht wieder richtig durch: «Der inflationsbedingte Kaufkraftverlust, die schlechteren Finanzierungsbedingungen und die sich nur langsam erholende Auslandsnachfrage verhindern einen stärkeren Aufschwung in diesem und im kommenden Jahr», sagte Schnitzer.
Teuerung bleibt hoch
Auch im laufenden Jahr müssen sich Verbraucherinnen und Verbraucher auf weiter steigende Preise einstellen. Die «Wirtschaftsweisen» rechnen mit einer Inflationsrate von 6,6 Prozent im Jahresschnitt. 2022 hatten die Verbraucherpreise nach überarbeiteten Daten des Statistischen Bundesamtes um 6,9 Prozent zugelegt.
Die Inflation bedeute Kaufkraftverluste und dämpfe den Konsum, der eine wichtige Stütze der Konjunktur ist. Gestiegene Erzeugerpreise und die zu erwartenden Lohnsteigerungen dürften die Inflation noch bis ins kommende Jahr hinein hoch halten, so die Fachleute.
Dass die Energiepreise auf den Weltmärkten sinken, sei für Verbraucher hierzulande noch kein Anlass zur Entwarnung, sagte die Sachverständige Ulrike Malmendier. Spätestens in der kalten Jahreszeit dürften sie wieder anziehen. Entscheidend sei die Kerninflation, also die Teuerung ohne Energie und Lebensmittel. «Die hat sich im vierten Quartal des letzten Jahres weiter beschleunigt.» Und das werde auch in den kommenden drei Quartalen so weitergehen.
Eine merkliche Entspannung bei den Verbraucherpreisen ist nach Einschätzung des Gremiums erst 2024 zu erwarten. Mit einer Rate von 3,0 Prozent soll die Teuerung dann nicht einmal halb so hoch liegen wie noch in diesem Jahr.
Hohe Risiken – aber keine Bankenkrise
Eine Bankenkrise infolge der Turbulenzen in der Schweiz und in den USA halten die Sachverständigen für unwahrscheinlich. «Wir möchten festhalten, dass wir im Augenblick keine Gefährdung der Finanzmarktstabilität sehen», betonte Malmendier. Die Lage stelle sich anders dar als 2008. Der Markt zwischen den Banken funktioniere gut, die Versorgung der Realwirtschaft mit Krediten sei gesichert.
Risiken sehen die «Wirtschaftsweisen» nach wie vor in der Energieversorgung. «Um die Gasspeicher wieder vollständig aufzufüllen und eine Gasmangellage im kommenden Winter zu verhindern, müssen wir weiterhin umfangreich Energie sparen», sagte die Sachverständige Veronika Grimm. Ob die Industrie als größter Sparer ihre Bemühungen auch bei niedrigeren Energiepreisen fortsetze, sei aber fraglich.
Von einem Aufatmen seien auch die Unternehmen weit entfernt, sagte Martin Wansleben, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Industrie- und Handelskammer. Stützungsprogramme des Bundes und Nachholeffekte aus den Covid-Jahren müssten die Wirtschaft eigentlich ankurbeln. Dem stünden allerdings die hohen Energiepreise und die schwächelnde weltweite Nachfrage gegenüber. «Der dringend erforderliche Investitionsschub bleibt derzeit deshalb aus.»