Die französische Schriftstellerin Yasmina Reza bei einer Lesung in Berlin 2008. (Urheber/Quelle/Verbreiter: picture alliance / Peer Grimm/dpa)

Gleich auf den ersten 20 Buchseiten gibt es eine Schlüsselszene in Yasmina Rezas neuem Roman «Serge». Nach der Beerdigung der Mutter haben sich die Geschwister Popper samt Angehörigen und wenigen Freunden in einem Café zusammengesetzt.

Enkelin Josephine mokiert sich darüber, dass die Oma sich habe einäschern lassen, und das als Jüdin, «nach allem, was ihre Familie durchgemacht hat». Und sie kündigt an, sie werde «dieses Jahr nach Osvitz fahren».

Absurde Zuspitzungen

Josephines Vater, Roman-Titelfigur Serge, tobt: «Osvitz!! Wie die französischen Goys! Lern erst mal, das richtig auszusprechen. Auschwitz! Auschschschwitz!» Das setzt den Ton dieser immer wieder absurd zugespitzten Familiengeschichte, in der es neben den verschiedenen Befindlichkeiten und Problemen eben auch um den Umgang der zweiten und dritten Generation mit der von der Schoah geprägten Familiengeschichte geht, einer Geschichte, über die in der Familie Popper ebenso geschwiegen wurde wie über die jüdische Identität: Keine Bar Mitzwa für die Söhne, das letzte Familientreffen mit der Mutter zum Dreikönigskuchen.

Man könne nicht behaupten, den Eltern viele Fragen gestellt zu haben, sagt Serge während des Familienausflugs nach Auschwitz, zu dem sich neben Josephine ihr Vater Serge, der Onkel und Ich-Erzähler Jean und die Tante Nana angeschlossen haben. Dabei wussten sie, die Familie der Mutter stammte aus Ungarn, fast alle Angehörigen wurden in Auschwitz ermordet. Waren es die Eltern, die sich das Schweigen auferlegt haben, oder haben sie auf Fragen gewartet?

Messerscharfe Beobachtungen

Auch im Umgang mit dem längst zur Touristenattraktion verwandelten ehemaligen Vernichtungslager, in dem nun Menschen in Shorts und bunten T-Shirts herumlaufen, unterscheiden sich die Familienmitglieder: Nana ist nach dem Anblick der Gaskammer aufgewühlt und betroffen, Serge schwitzt im guten Anzug, gibt sich aber betont unbeteiligt, Josephine fotografiert in einem fort, als helfe die Kamera, Distanz zum Ort und seiner Geschichte zu schaffen.

Jean reflektiert den Besuch am Grab der unbekannten ungarischen Verwandten, von denen er und seine Geschwister nie etwas gehört hatten: «Aber das war unsere Familie, sie waren gestorben, weil sie Juden waren, sie hatten das Verhängnis dieses Volkes erlebt, dessen Vermächtnis wir trugen, und in einer Welt, die sich an dem Wort „Gedenken“ berauschte, wirkte es ehrlos, nichts damit zu tun haben zu wollen.»

Mal überdreht und voller Komik, mal nachdenklich und messerscharf beobachtend sind Rezas Szenen einer Familie zwischen Entfremdung, Schweigen und der Suche nach einem verbindenden Element. Ob Identität oder der Umgang mit Alter und Krankheit, der eigenen Endlichkeit und der Suche nach dem was bleibt – in diesem Buch zeigt Reza, dass sie die schrillen wie auch die leisen Töne beherrscht.

Yasmina Reza: Serge, Hanser Verlag, 206 Seiten, 22 Euro, ISBN 978-3-446-27292-7

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