Der vAutor Thomas Kunst. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Sebastian Gollnow/dpa)

Wer die Begründung der Jury zur Shortlist für den Deutschen Buchpreis 2021 liest, wundert sich nicht, dass «Zandschower Klinken» von Thomas Kunst zu dieser Auswahl gehört.

Alle Titel zeugten von der immensen Lust, Geschichten zu erzählen und loteten zugleich die Möglichkeiten und Grenzen des Schreibens aus, hieß es. «Zandschower Klinken» ist ein großes Experiment, ein sprachliches Spiel auf 254 Seiten.

Bengt Claasen steht vor den Trümmern seiner bisherigen Existenz. Seine Beziehung ist dahin, er setzt sich in sein Auto, legt ein Hundehalsband auf das Armaturenbrett und fährt ganz vorsichtig los. «An der Stelle, an der es herunterfällt, will er anhalten und ein neues Leben beginnen.» So landet Claasen in Zandschow, einem norddeutschen Kaff mit Feuerlöschteich und Getränkemarkt. Doch von dort ist es gar nicht so weit bis Sansibar.

Thomas Kunst, der auch als Lyriker bekannt ist, hat eine Aussteiger-Story geschrieben, in der ein Reh ein Taxi fahren kann und die wild zwischen Gegenwart und Geschichte hin und her springt. Die Vergangenheit ist DDR, das Hier und Jetzt kann man im Nordosten des Landes ausmachen. Bengt Claasen hat ungefähr das Alter des 1965 geborenen Kunst. Er schaut auf eine DDR-Kindheit in den 70ern zurück und das Aufwachsen mit einem Vater, der nicht sein biologischer war.

Der in Leipzig arbeitende Kunst hat mehrfach in Gesprächen gesagt, sein Ideal an Romanliteratur sei, dass man sie nicht nacherzählen könne. Das ist mit «Zandschower Klinken» auf jeden Fall so. Chronologisch ist in dem Buch nichts, und wenn statt «Roman» «Komposition» auf dem Cover stehen würde, träfe das auch zu. Das Lesen des Buches hat eher etwas von Puzzeln – immer neue Teile fallen einem in die Hände und erst nach und nach ergibt sich ein Bild.

Stellenweise erinnert der Text auch an Musik, wenn Kunst zum Beispiel auf die ständige Wiederholung eines Motivs setzt und immer noch einen Klang – oder eben ein paar neue Sätze – hinzufügt. In Anmerkungen am Ende des Buches listet der Autor gut 20 Platten auf, die für ihn beim Schreiben unabdingbar gewesen seien.

Leicht zu lesen ist «Zandschower Klinken» nicht, ganz im Gegenteil. Man ist dabei auch versucht, das Handy immer griffbereit zu haben, um nach Erklärungen für Namen, Orte und Zusammenhänge zu suchen. Wer von der Fülle nicht erschlagen wird und sich auf das nicht-lineare Erzählen einlässt, der wird sich freuen – über die immer neuen Entdeckungen, die dieses Kunst-Werk Seite für Seite bereithält.

– Thomas Kunst: Zandschower Klinken, Suhrkamp-Verlag, ISBN 978-3-518-42992-1, Hardcover 22 Euro.

Von Birgit Zimmermann, dpa

Von