Die EU-Umweltminister haben sich auf ein Ende für Verbrenner-Motoren geeinigt. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Christoph Schmidt/dpa)

Ist das jetzt das «faktische Ende» des Verbrenner-Autos oder nicht? Es wurde mal wieder sehr spät, bis die Umweltminister der EU ihren Kompromiss für einen klimaneutralen Autoverkehr ab 2035 vorlegten.

Doch ein zentraler Punkt war auch in der Nacht zum Mittwoch offen. Die Minister stimmten zwar dem Auslauf von Neuzulassungen herkömmlich betriebener Benzin-, Diesel- und Gasautos ab Mitte des nächsten Jahrzehnts zu. Die Brüsseler EU-Kommission soll aber nun die Frage analysieren, ob mit künstlichem Ökosprit betriebene Motoren trotzdem auf der Straße bleiben dürfen.

Damit könnte eine Hintertür für die Verbrenner offen bleiben. Der Position der Mitgliedstaaten muss noch das EU-Parlament zustimmen.

Wie so oft sehen die Politiker bereits einen Erfolg ihrer jeweiligen Position, während Wirtschafts- und Umweltverbände deftige Kritik äußern oder weitere Änderungen einfordern. Für Verbraucher und Unternehmen indes bringt der ungeklärte Umgang mit den sogenannten E-Fuels anhaltende Unsicherheit. Und die Meinungen darüber, was mit erneuerbaren Energien hergestellte Synthetik-Kraftstoffe in Sachen CO2-Nettoreduktion brächten, gehen immer noch auseinander.

Umweltverbände üben harsche Kritik

Bundeswirtschafts- und -klimaschutzminister Robert Habeck gab sich zufrieden. Zusammen mit den ebenfalls beratenen Vorschlägen für eine Reform des Emissionshandels und Milliardenentlastungen in der Energiewende stehe «das größte Klimaschutzpaket, das seit 15 Jahren in Europa geschmiedet wurde». Seine Grünen-Kollegin Steffi Lemke aus dem Umweltressort verteidigte den bisherigen Fahrplan. «Wir können diese Diskussion, ist das ein Verbrenner-Aus oder ist das ein Verbrenner-Aus-Aus, noch eine Weile führen. Aber für mich ist entscheidend, was beschlossen wurde», sagte sie in Hannover.

Kritiker halten einen Einschluss von E-Fuels in die Klimaschutzregeln für eine Verwässerung und einen nur halbherzigen Abschied von der Verbrenner-Ära. Das Verwirrende: Zwar stützte die Ministerrunde das Ziel, von 2035 an nur noch Null-Emissions-Fahrzeuge neu verkaufen zu lassen. Im geltenden System der EU-Flottengrenzwerte müssen Autobauer bestimmte Höchstschwellen für den CO2-Ausstoß ihrer Modellfamilien je gefahrenen Kilometer einhalten. Auch Lemke bekräftigte die Position, «dass Pkw-Neuwagen ab 2035 vollständig CO2-frei fahren sollen».

Allerdings geht es in der Debatte um E-Fuels nicht nur um zulässige Emissionen am Auspuff, sondern um eine bilanzielle Gesamtsicht. Obwohl moderne Motoren sauberer sind, ist eine isoliert betrachtete «Nullemission» mit Ökosprit im Tank unmöglich. Auch da wird CO2 frei. Aber es soll über den ganzen Nutzungszyklus nicht mehr sein, als vorher aus Bio- und Atmosphäre gebunden wurde. Der Nettoeffekt zählt.

Lemke betonte denn auch, die EU-Kommission sei gebeten worden zu prüfen, «ob es Mittel und Wege gibt, für diese Randbereiche noch andere Möglichkeiten» zu schaffen. Also höchstens außerhalb des aktuellen Grenzwertsystems oder durch dessen Reform?

Sind E-Fuels viel zu teuer?

Bis 2026 hat die Kommission Zeit. Offen ist aber, was sie vorschlägt – und ob das für Wagen für den Individualverkehr gelten würde. Ihr Vizechef Frans Timmermans zeigte sich skeptisch: «Bisher scheinen E-Fuels keine realistische Lösung, da sie viel zu teuer sind.» Die Hersteller hätten nun eine Chance, vom Gegenteil zu überzeugen. «Die Kommission wird das dann bewerten und eine Schlussfolgerung ziehen.»

Befürworter argumentieren, der Synthetiksprit biete die Chance, schon parallel zum Hochlauf von Batterieautos klassische Verbrenner weniger klimaschädlich zu machen. «Würde man fossilen Kraftstoffen dauerhaft fünf Prozent beimischen, hätte dies den gleichen Klimaeffekt, als wären alle Neuwagen in einem Zulassungsjahrgang emissionsfrei», so das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln. Die Chefin des Autoverbands VDA, Hildegard Müller, bemängelt «eine Entscheidung gegen technologieoffene Industriepolitik». ADAC, der Industrieverband BDI, das Kfz-Gewerbe und die Importeure äußerten sich teils ähnlich.

«Power to Fuel»-Verfahren gewinnen den Ökosprit nicht aus chemischer Veredelung von Rohöl, das Jahrmillionen im Boden lagerte und bei der Verbrennung den Kohlenstoffgehalt der Atmosphäre dann kurzfristig erhöht. Quasi umgekehrt bauen sie Kohlenwasserstoff-Ketten etwa aus Wasserstoff (H2) und CO2 zusammen. Dafür braucht man jedoch H2 in Reinform, wozu Wasser energieintensiv gespalten werden muss. Wenn – und nur wenn – dabei Ökostrom ohne ergänzende CO2-Last zum Einsatz kommt, kann der Kunstsprit geeignete Motoren klimaneutral antreiben.

Jedoch, so führen Skeptiker an, komme die Effizienz der E-Fuels nicht an Pkw-Batterieantriebe heran. Über alle Energieumwandlungsstufen sei ihr Wirkungsgrad nicht mit dem der Akkus vergleichbar. Aus ähnlichen sowie aus Kostengründen sollten auch Brennstoffzellen nach Ansicht vieler Ingenieure eher in Lkw, Bussen und Schiffen eingesetzt werden.

Ökonomen verweisen zudem auf Jobeffekte, wenn optimierte Motortechnik eine Weile weiterleben könnte. «In den östlichen EU-Staaten mit ihren älteren Flotten wird der Verbrenner länger Standard bleiben», glaubt das IW. Unionsweit kommt ein Fünftel des CO2 aus dem Straßenverkehr.

Die finale Einigung muss mit dem EU-Parlament ausgehandelt werden, es ist mehrheitlich für ein Komplett-Aus der Verbrenner. Die FDP mit Finanzminister Christian Lindner und Verkehrsminister Volker Wissing pochte darauf, dass mit E-Fuels betankte Neuwagen im Nachhinein doch nicht auf die Verbotsliste kommen – zum Ärger der Umwelt-Community.

BUND-Geschäftsführerin Antje von Broock bezeichnete Ökosprit-Sorten als «Scheinlösung»: «Sie sind ineffizient, nicht automatisch klimaneutral und werden auf absehbare Zeit teuer sowie begrenzt verfügbar bleiben.» Martin Kaiser von Greenpeace sprach von einem «Luftschloss», das Verbraucher irreleite und den Klimaschutz zurückwerfe. Beim ökologisch orientierten Verkehrsclub Deutschland (VCD) schimpfte Bundeschefin Kerstin Haarmann gar: «Deutschland hat seine Glaubwürdigkeit als Klimaschutzvorreiter in Europa verloren.»

Von Jan Petermann, Laura Dubois und Christopher Weckwerth, dpa

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