Die Steuern steigen, die Energiepreise explodieren – Millionen Briten ächzen unter immer höheren finanziellen Belastungen. Auch die Lebensmittelpreise haben zugelegt, im vergangenen Jahr um 9 Prozent.
«Niemand möchte für Grundnahrungsmittel zu viel bezahlen, insbesondere, wenn die Haushaltsbudgets durch knappe Lebenshaltungskosten zusätzlich unter Druck geraten», sagte Ele Clark von der Verbraucherschutzorganisation Which?. Für Kunden heißt es daher, noch genauer auf Preise zu achten. Denn wie Which? ermittelt hat, gibt es große Unterschiede. Als Gewinner könnten zwei deutsche Unternehmen aus der Krise hervorgehen – Aldi und Lidl.
Die beiden Discounter haben 2021 die günstigsten Preise angeboten, wie Which? am Mittwoch mitteilte. Mal lag Aldi knapp vorne in dem Vergleich, für den die Organisation einen festen Preiskorb mit Produkten der acht wichtigsten Anbieter auswertet, mal Lidl. Im Januar 2021 waren beide sogar preislich gleichauf. Dieses Konzept könnte den Wettbewerbern bei ihrem weiteren Geschäftsausbau helfen.
Experten verweisen auf eine ähnliche Situation vor gut zehn Jahren. «Wir alle haben unsere Preise nach oben treiben lassen. Das hat eine Situation geschaffen, die die Discounter ausgenutzt haben», sagte Newton-Berater Andy Clarke, einst Chef der Supermarktkette Asda, jüngst der Zeitung «The Times» mit Blick auf die Finanzkrise 2008/09. Wettbewerber Sainsbury’s verweist bei einigen Produkten darauf, sie seien so günstig wie bei Aldi.
Hunderte weitere Filialen geplant
Zwar bleibt Tesco der absolute Marktführer – der Anteil des Einzelhandelsriesen beträgt weit mehr als ein Viertel (27,7 Prozent). Doch die Anteile der anderen Mitglieder der «großen Vier» bröckeln: Sainsbury’s, Asda und Morrisons gaben alle zwischen November 2020 und 2021 ein kleines Stück des Kuchens ab, der nach Berechnungen des Forschungsinstituts Kantar rund 133 Milliarden Pfund (knapp 160 Mrd Euro) wert ist. Das wollen Lidl und Aldi nutzen und mit Hunderten neuen Filialen, die die Discounter bis 2025 landesweit eröffnen wollen, die Lücke weiter schließen.
Dass ihnen das gelingen kann, zeigte die Weihnachtszeit: Da machten beide ein deutliches Plus bei ihren Verkäufen. Die «Big Four» verzeichneten allesamt ein Minus. Mittlerweile kommen die Deutschen gemeinsam auf einen Anteil von 14,3 Prozent – fast eine Verdreifachung im vergangenen Jahrzehnt. Sie werden längst nicht nur von der Mittelschicht angenommen, die sie ursprünglich mit günstigen Preisen für Hummer und Champagner überzeugt haben. Mit cleveren Marketingstrategien und bedeutenden Werbepartnerschaften sind die Discounter im öffentlichen Bewusstsein verankert. So tritt Lidl als Sponsor der englischen Fußball-Nationalmannschaft auf, Aldi ist Partner der beliebten TV-Backshow «The Great British Bake Off».
«Wir sehen weiterhin großartige Möglichkeiten im Markt», sagte der scheidende Chef von Lidl UK, Christian Härtnagel, dem «Evening Standard». Dass Härtnagel im Februar zum Deutschlandchef aufsteigt, gilt als Beweis für die erfolgreiche Expansion des Neckarsulmer Unternehmens im Königreich.
Dabei setzt er – wie Konkurrent Aldi – auf die Verbundenheit zum Markt. In englischen Filialen sind in Gängen und auf Produkten britische Flaggen zu sehen. Deutsche Qualität aus Großbritannien, soll das bedeuten. «Als günstigster Supermarkt in Großbritannien wird Aldi immer die niedrigsten Preise für Lebensmittel verlangen – egal was passiert – und unsere britischen Landwirte und Produzenten unterstützen», verspricht auch Giles Hurley, Chef von Aldi UK.
Aldi testet kassenlosen Einkauf
Auch dank dieses Konzepts scheinen die Discounter die Probleme in den Lieferketten fürs erste überwunden zu haben. Weil seit dem Brexit Arbeitskräfte aus der EU teure und aufwendige Visa benötigen, sind Fachkräfte rar, ob als Erntehelfer oder in der Fleischproduktion. Vor allem Lastwagenfahrer werden nach wie vor mit Hochdruck gesucht – die aufgerufenen Gehälter schossen in die Höhe.
Damit bleiben einige Hürden für Härtnagel-Nachfolger Ryan McDonnell. Luft nach oben gibt es nach Ansicht von Experten für Lidl noch beim Online-Handel. Hier hat Aldi mit einem Click&Collect-Angebot und der Zusammenarbeit mit dem Lieferdienst Deliveroo vorgelegt. Als erster Discounter bietet Aldi zudem im Londoner Bezirk Greenwich nach dem Vorbild von Amazon Go Kunden einen kassenlosen Einkauf. Im Laden registriert Technologie, wer welche Waren mitgenommen hat. Der Preis wird nach Verlassen des Geschäfts per App abgebucht. Auch Lidl prüft das Konzept.
Doch hier lauert auch eine Gefahr für den weiteren Aufstieg der Deutschen. Denn Amazon als Technologieführer setzt ebenfalls auf Angriff im Königreich. Bis 2025 sollen landesweit unter dem Namen Amazon Fresh 260 Läden eröffnet werden.