Betriebsräte sind bei Start-ups kein Selbstverständlichkeit. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Jonas Walzberg/dpa)

Wenn in diesen Tagen in Deutschland die Betriebsratswahlen beginnen, wählen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, wer ihre Interessen vor der Chefetage vertreten soll.

Obwohl das Gremium ab einer Belegschaft von fünf Personen möglich ist, gibt es viele Unternehmen ohne Betriebsrat – vor allem Start-ups haben oftmals keinen solchen Ort der betrieblichen Mitbestimmung.

Nicht nur das Management fühle sich durch einen möglichen Betriebsrat häufig bedroht, auch Mitarbeiter in Start-ups würden oft keinen Nutzen in dem Gremium sehen, berichten Gewerkschafter. «Viele im Betrieb denken: So was brauchen wir nicht, das passt nicht in unsere Kultur, das macht uns langsam», sagt der Verdi-Sekretär Oliver Hauser.

Zudem gebe es bei jungen Unternehmen, gerade im Tech-Bereich, oft eine hohe Fluktuation. Gedanken wie «Ich arbeite hier sowieso nicht lange» oder «Wenn es mir nicht gefällt, gehe ich halt woanders hin» seien gerade bei qualifizierten Fachkräften nicht selten. Sie sähen – anders als leicht austauschbare Arbeitskräfte – oftmals keine Dringlichkeit für einen Betriebsrat. «Meistens melden die Leute sich erst, wenn es schon ernste Probleme gibt und es eigentlich zu spät ist», sagt Hauser.

Im Frühstadium gebe es in Start-ups oft eine starke interne Kommunikation, sagt Jörg Weingarten vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB). Weil viele Gründer sich in der Uni kennenlernen, sei alles zunächst freundschaftlich und locker. «Wenn das Unternehmen dann wächst, greifen die alten Strukturen aus der Gründungsphase plötzlich nicht mehr.» Daher sei es wichtig, mit einem Betriebsrat gesetzlich abgesicherte Rechte und verbindliche Kommunikationskanäle zu etablieren. «Wenn etwa der Verkauf an einen Investor ansteht, dann geht das anfängliche Gefühl von flachen Hierarchien und vermeintlicher Mitbestimmung schnell verloren», erläutert Weingarten.

Oft sei es eine große Aufgabe, Arbeitnehmern bewusst zu machen, wie sinnvoll die Gründung eines Betriebsrates und dabei auch die Hilfe einer Gewerkschaft sein könne. Gerade im akademischen Umfeld seien sich viele Beschäftigte sicher, sie brauchten keine Gewerkschaft, um ihre Interessen durchzusetzen, sagt Weingarten. «Man lernt an der Uni, dass man sich um sich selbst kümmern und durch hohen Bildungsstand mit Leuten auf Augenhöhe sprechen kann.»

Diese Selbstsicherheit hätten geringer qualifizierte Arbeitskräfte oftmals nicht. Unter Studierenden beobachtet Weingarten zudem viel Unwissenheit über die politische Beteiligung und Gestaltungskraft von Gewerkschaften. «Viele haben das Bild im Kopf, dass Gewerkschafter nur die mit Warnweste und Trillerpfeife in der Hand sind.»

Junge Akademiker seien darüber hinaus weniger zugänglich für typische Betriebsrats- und Gewerkschaftsthemen wie Arbeitszeitregulierung. «Damit holen wir Menschen mit akademischer Bildung, die sich stark mit ihren Projekten identifizieren, nicht ab», sagt Weingarten. Diese Zielgruppe müsse man daher mit guten Tarifverträgen erreichen und mit gewerkschaftlichen Weiterbildungsangeboten.

Anders ist die Situation bei gering qualifizierter und leicht austauschbarer Arbeit. Für solche Arbeitnehmer ist es tendenziell schwieriger, einen Betriebsrat zu gründen, weil das Unternehmen sie leichter ersetzen und mit Kündigung drohen kann.

Bei neueren Plattform-Geschäftsmodellen wie Lieferdiensten sei außerdem die Vernetzung der Beschäftigten untereinander kompliziert, sagt Karin Vladimirov von der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG). «Die Arbeitnehmer begegnen und kennen sich kaum, da ist es schwieriger sich zusammenzuschließen und einen Betriebsrat zu gründen.» Das will die Europäische Kommission ändern und hat dazu im Dezember vergangenen Jahres Regulierungsvorschläge für die Plattformökonomie vorlegt. Eine mögliche Richtlinie soll die Arbeitgeber dazu verpflichten, Kommunikation der Beschäftigten untereinander, aber auch mit ihren Interessenvertretungen zu ermöglichen.

Die SPD-Bundestagsabgeordnete und ehemalige Gründerin Verena Hubertz weiß aus eigener Erfahrung, dass es ein Betriebsrat zu Beginn oft nicht auf die Agenda schafft. «Gerade in der Anfangsphase konzentrieren sich viele Kapazitäten auf die Entwicklung des Kerngeschäftes.» Es sei sowohl für Mitarbeiter als auch für Arbeitgeber schwierig, in einem sehr dynamischen Umfeld das Thema Betriebsratsgründung zu planen und umzusetzen, erläutert Hubertz.

Die SPD-Politikerin empfinde die Start-up-Branche – abgesehen von «einigen schwarzen Schafen» – als generell aufgeschlossen gegenüber Betriebsräten. Letztendlich sei ein solches Gremium auch im Interesse des jungen Unternehmens. «Mitbestimmung ist ein Gewinn, sowohl für die Arbeitnehmer als auch die Start-ups selbst.»

Von Frida Preuß, dpa

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