Das Werksgelände des Chemiekonzerns BASF. Ein drohender Gasmangel würde Deutschland aus Sicht der Chemiebranche schrittweise und regional treffen. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Uwe Anspach/dpa)

Ein möglicher Gasmangel würde Deutschland aus Sicht der Chemiebranche schrittweise und regional unterschiedlich treffen. «Wir werden einen Gasmangel nicht gleichzeitig in Deutschland sehen und auch nicht flächendeckend», sagte Jörg Rothermel, Energieexperte beim Verband der Chemischen Industrie (VCI), am Dienstag in Frankfurt. Der Osten und Süden würden im Ernstfall wahrscheinlich zuerst betroffen sein. «Im Süden haben wir nur zwei Speicher. Außerdem ist das Netz nicht für stärkere Gasflüsse aus dem Norden und Westen ausgelegt.»

Die große Sorge in Deutschland derzeit ist, dass Russland bei der Ostseepipeline Nord Stream 1 nach einer geplanten Wartung, die Ende dieser Woche vorbei sein könnte, den Gashahn nicht wieder aufdreht und die bereits gedrosselten Lieferungen ganz versiegen.

In jedem Fall bleibe Unsicherheit, erklärte Rothermel. «Das beste Gas nutzt nichts, wenn es zu teuer wird und nicht mehr wirtschaftlich ist.» Man müsse sich dauerhaft auf erhöhte Gaspreise einrichten. «Anfang letzten Jahres betrug der Gaspreis um die 20 Euro die Megawattstunde. Jetzt liegt er bei 150 bis 180.»

Größter Verbraucher von Gas

Die Chemie- und Pharmabranche ist mit einem Anteil von 15 Prozent größter Gasverbraucher in Deutschland. Knapp ein Drittel des Industrieverbrauchs entfällt auf sie. Der VCI hat oft vor den Folgen eines Gasmangels auch für die ganze deutsche Industrie gewarnt.

Der VCI geht davon aus, dass die Branche mit dem Einsatz anderer Brennstoffe wie Heizöl und Kohle kurzfristig nur zwei bis drei Terawattstunden Gas sparen kann. Die Chemie- und Pharmabranche braucht aber insgesamt rund 135 Terawattstunden Gas im Jahr – davon 100 als Energieträger und 35 als Rohstoff für die Produktion. «Für unsere Unternehmen gilt, dass wir aktuell noch einmal alles geben, um auch die allerletzten Gas-Einsparpotenziale zu heben», sagte VCI-Hauptgeschäftsführer Wolfgang Große Entrup.

Ein dauerhafter Ausfall von Nord Stream 1 würde Deutschland nach Worten von SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert deutlich härter treffen als Russlands Präsident Wladimir Putin. Die Bundesregierung habe alles dafür getan, dass es «kein technisches Argument mehr für die russische Seite» gebe, die Pipeline nicht wieder ans Netz zu nehmen, auch durch die Bereitstellung der zuvor in Kanada gewarteten Turbine», sagte der SPD-Politiker am Dienstag dem Deutschlandfunk.

Keine Kleinigkeit

Inzwischen sei völlig klar, dass die Gasversorgung für Deutschland keine Kleinigkeit sei, wie manche noch im März oder April geglaubt hätten, sagte Kühnert. Es sei eine «traurige Wahrheit», dass Deutschland vorerst noch auf russisches Gas angewiesen sei, um im Winter massive Probleme für Haushalte und Industrie abzuwenden.

Der Darmstädter Pharma- und Technologiekonzern Merck sieht sich unterdessen für einen möglichen plötzlichen Gasmangel gerüstet. «Wir sind sehr gut darauf vorbereitet», sagte Vorstandschefin Belén Garijo der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» (Dienstag) auf eine entsprechende Frage. «Wir sind darauf vorbereitet, dann unsere Produktionsprozesse unter anderem auf Erdöl zu verlagern.» Zugleich verringere man die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern.

Sie sei «ziemlich zuversichtlich, dass wir weiterhin Medikamente liefern können», führte Garijo aus. Merck habe sich mit Rohstoffen eingedeckt. So habe man auch den Kauf von Öl vorweggenommen. «Aber gleichzeitig hängt es sehr von der Dauer der Engpässe ab, und wie wir es schaffen, parallel dazu auf alternative Quellen umzustellen.»

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