Allen Corona-Widrigkeiten zum Trotz standen am Grünen Hügel zu Bayreuth Festspiele der Superlative bevor. Doch nun sind Sexismusvorwürfe bekannt geworden, die das Festival erschüttern. Intendantin Katharina Wagner selbst hat nach eigenen Angaben «sexuelle Anzüglichkeiten und teilweise Übergriffe in gewisser Weise» erlebt. «Ich habe mich aber zu wehren gewusst», sagt sie.
Zuvor hatte der «Nordbayerische Kurier» von körperlichen Übergriffen auf Frauen, Beleidigungen und sexistischen Sprüchen auf dem Grünen Hügel berichtet. «Für manche von uns ist das Alltag», wird eine Frau zitiert.
Das weltberühmte Bayreuther Festspielhaus – ein Ort, an dem Frauen gegen ihren Willen angefasst werden, Anmach-Sprüche aushalten müssen und aufdringliche SMS-Nachrichten bekommen? Am Montag (25. Juli) beginnen die Festspiele – und haben nun eine #MeToo-Debatte.
Unter diesem Hashtag hatten von 2017 an vor allem Frauen in sozialen Netzwerken millionenfach ihre Erfahrungen mit sexuellen Übergriffen geschildert. Der deutsche Bühnenverein hat deshalb 2018 einen Verhaltenskodex verabschiedet, um sexuelle Übergriffe und Machtmissbrauch zu verhindern. Zudem wurde damals eine unabhängige Vertrauensstelle gegen sexuelle Belästigung und Gewalt auf den Weg gebracht.
Die Festspiele kündigten am Freitag an, den Vorwürfen nachzugehen. Bislang habe sich keine Betroffene an die Geschäftsführung gewandt.
Auch Corona ist präsent
Die ungetrübte Vorfreude auf die Festspielzeit in Bayreuth ist jedenfalls dahin. Dabei sollte es eine Saison der Superlative werden. Gleich fünf Neuproduktionen stehen auf dem Programm, neben dem vierteiligen «Ring des Nibelungen» eröffnen die Festspiele am Montag (25. Juli) mit einer Neuinszenierung von «Tristan und Isolde»: Es gibt in diesem Jahr so viel Neues zu sehen wie noch nie in der Geschichte des Opernspektakels. Fünf neue Opern auf einen Streich.
Und auch das könnte noch schief gehen. Denn Corona hat bereits jetzt für mächtig Wirbel bei den Richard-Wagner-Festspielen gesorgt. Von zahlreichen Infektionen im Team ist die Rede, eine davon so heftig, dass sie Planungen durcheinanderwirbelt: Pietari Inkinen, musikalischer Leiter des vierteiligen «Rings», ist so schwer erkrankt, dass er kurz vor der Premiere aufgeben musste. Und wer weiß schon, bei welchem Mitwirkenden die Viren noch zuschlagen, allen Sicherheitsvorkehrungen zum Trotz?
«Corona ist leider wieder deutlich präsenter, als wir es alle für diesen Sommer erwartet hatten», sagt Wagner der Deutschen Presse-Agentur. «Corona hat leider auch zu Publikumsschwund geführt, viele Häuser bemerken dies mit einem starken Rückgang auch im Bereich der Abonnenten. Wir sind sehr glücklich, quasi ausverkauft zu sein.»
Noch Tickets erhältlich
Trotzdem gab es – auch das dürfte ein Novum in der Festspielgeschichte sein – kurz vor Festspielstart im Online-Shop noch Tickets für so ziemlich jede der Inszenierungen, sogar für die Eröffnungspremiere mit dem «Tristan». Rückläufer seien das gewesen, heißt es. Inzwischen gehen die Festspiele aber davon aus, ausverkauft zu sein, wie es Tradition ist auf dem Grünen Hügel. Allerdings gibt es wegen Umbaumaßnahmen in diesem Jahr rund 200 Plätze weniger als üblicherweise.
Einer, dem Corona in diesem Jahr in die Karten gespielt hat, ist Cornelius Meister. Denn er ist nach Inkinens Ausfall unverhofft zum Dirigenten des neuen «Ring» geworden – einem Spektakel, das weltweit Beachtung finden wird. Bei der «Tristan»-Premiere am Montag soll für ihn nun Markus Poschner am Pult stehen.
Den neuen «Tristan» hatte Festspiel-Chefin Katharina Wagner quasi in letzter Minute, erst im Dezember bei Regisseur Roland Schwab in Auftrag gegeben – aus Angst, Corona-Erkrankungen im Chor könnten die großen Chor-Opern «Lohengrin», «Holländer» und «Tannhäuser» kurzfristig vom Spielplan fegen.
«Binge Watching» auf den Festspielen
Alle Augen ruhen aber dennoch auf «Ring»-Regisseur Valentin Schwarz, der das Mammutwerk mit einer Art «Netflix»-Serie verglichen hat. «Es geht hier nicht um die Ästhetik einer Fernsehserie. Was ich mit Netflix beschreiben wollte, das ist diese intensive Seh-Erfahrung, die man in Bayreuth hat», sagte er dem «Münchner Merkur». «In einer Woche alles hintereinander anschauen, das erinnert mich tatsächlich an Binge Watching. Die andere Parallele: Wir haben hier ein Familienepos, in dem wir alle Figuren über Jahre hinweg begleiten dürfen.» Nach dem bildgewaltigen, aber von vielen als nicht genug durchdacht kritisierten «Ring» von Frank Castorf wird mit Spannung erwartet, wie sich der junge Regisseur Schwarz schlägt.
In der Kritik steht laut «Nordbayerischem Kurier» auch der frühere Musikdirektor der Festspiele, Christian Thielemann. Er soll Musiker angeschrien und beleidigt haben – ein Vorwurf, den der Star-Dirigent vehement zurückweist: «Da ist überhaupt nichts dran», sagte er der dpa und sprach von einem «Missverständnis».
Auf eines immerhin ist Verlass in diesen unsicheren Zeiten für das Festival: Angela Merkel wird auch in diesem Jahr wieder da sein. Als Bundeskanzlerin läutete sie traditionell ihre Ferien mit einem Bayreuth-Besuch ein, blieb oftmals sogar ein paar Tage länger, um abseits des Eröffnungs-Trubels Wagners Musikdramen und die fränkische Landschaft genießen zu können. Nun kommt sie auch als Kanzlerin a.D. gemeinsam mit Ehemann Joachim Sauer nach Bayreuth. Ihr Nachfolger Olaf Scholz reist nicht an.
Dafür steht Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) auf der Gästeliste – ebenso wie Bayreuth-Stammgast Thomas Gottschalk und «Tatort»-Kommissar Udo Wachtveitl. Als internationalen Gast hat Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) den albanischen Premierminister Edi Rama eingeladen.