Kuatoren vom indonesischen Kollektiv Ruangrupa bei der Schlussveranstaltung der documenta. Ruangrupa wurde wiederholt für antisemitische Darstellungen in Kunstwerken auf der documenta kritisiert. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Uwe Zucchi/dpa)

Hinter der documenta fifteen liegen 100 Tage voller hitziger Debatten – am Sonntag ist die von Antisemitismus-Vorwürfen überschattete Weltkunstausstellung in Kassel zu Ende gegangen.

«Der besondere Zauber einer jeden documenta, der auch diesen Sommer wieder für ein besonderes Flair und eine internationale Atmosphäre in unserer Stadt gesorgt hat, wurde diesmal leider getrübt», sagte der Oberbürgermeister der nordhessischen Stadt, Christian Geselle (SPD), laut Pressemitteilung zum Abschluss. Einzelne Kunstwerke hätten durch mangelnde Einordnung Gefühle verletzt, Dialog verhindert und Fronten verhärtet.

Geselle, der auch Aufsichtsratsvorsitzender der documenta gGmbH ist, übte deutliche Kritik am indonesischen Kuratorenkollektiv Ruangrupa. Als Künstlerische Leitung der documenta fifteen müsse es sich vorwerfen lassen, seiner kuratorischen Verantwortung in dieser Debatte nicht nachgekommen zu sein und einen offenen Dialog mit Kritikern gescheut zu haben. Zudem hätten die Kuratoren die Möglichkeit einer Kontextualisierung umstrittener Werke zu leichtfertig abgetan. «Das hat mich enttäuscht.»

15 bis 20 Prozent weniger Besucher

Auch in diesem Jahr zog die documenta fifteen wieder zahlreiche Besucher an – wenn auch weniger als die 14. Ausgabe der Schau im Jahr 2017. Damals waren rund 891.500 Menschen nach Kassel gekommen, 339.000 weitere Menschen an den zweiten Standort in Athen. Laut Interims-Geschäftsführer der documenta fifteen, Alexander Farenholtz, dürften die Zahl für 2022 etwa 15 bis 20 Prozent unter dem damaligen Kasseler Ergebnis liegen. Es dürften also zwischen 710.000 und 760.000 Besucher die umstrittene Weltkunstausstellung besucht haben. Endgültige Zahlen werden für den heutigen Montag erwartet.

Nachdem Ruangrupa und einigen eingeladenen Künstlern bereits seit Jahresbeginn eine Nähe zur anti-israelischen Boykottbewegung BDS vorgeworfen worden war, wurde kurz nach der Eröffnung der documenta fifteen ein Banner mit judenfeindlichen Motiven entdeckt und abgebaut. In den folgenden Wochen tauchten weitere Werke auf, die scharfe Kritik und Forderungen nach einem Abbruch der Schau auslösten.

Zuletzt hatte sich ein von den Gesellschaftern der documenta, Stadt Kassel und Land Hessen, eingesetztes Expertengremium dafür ausgesprochen, eine Reihe umstrittener propalästinensischer Propagandafilme nicht mehr zu zeigen, zumindest bis eine angemessene Kontextualisierung vorgenommen werde. Ruangrupa hatte diese Forderungen zurückgewiesen und dem Beirat Zensur vorgeworfen.

Oberbürgermeister: Maß und Mitte finden

Ziel müsse es nun sein, eine kulturpolitische Debatte einzuleiten und Gespräche wiederaufzunehmen, sagte Oberbürgermeister Geselle. Es gelte, auf Augenhöhe zu diskutieren «und dabei wieder Maß und Mitte zu finden». Er bekräftigte seine Haltung zur Kunstfreiheit als wichtigem Grundrecht: «Politik darf nie inhaltlich eingreifen. Das wäre eine Zäsur – und damit wäre auch die von Arnold Bode entwickelte Idee einer documenta gescheitert. Das darf nie passieren.»

Der Oberbürgermeister betonte zudem die feste Bindung von documenta und Stadt Kassel. «Versuche, hier einen Keil zwischenzutreiben, werde ich nicht dulden. Die documenta gehört zu Kassel – gestern, heute und in Zukunft.» Auch zur documenta 16 vom 12. Juni bis zum 19. September 2027 werde Kassel wieder ein guter Gastgeber sein.

Die documenta müsse ein Konzept entwickeln, das vor allem die eigene Verantwortung ernst nehme und neue, provozierende Blickwinkel auf die verstörende Realität unserer Welt ermögliche, forderte am Sonntag das Internationale Auschwitz-Komitee. «Dass diese antisemitische Konnotation in Deutschland und bei der documenta fifteen trotz wachsender Kritik und Diskussionsangeboten über 100 Tage lang möglich war, wird der bleibende Makel dieses Projektes bleiben, der eine Zeitenwende in Deutschland markiert und viele politische Äußerungen als Lippenbekenntnisse entlarvt», sagte Exekutiv-Vizepräsident Christoph Heubner laut Mitteilung.

In Deutschland würden Politik und Gesellschaft über diese Zeitenwende und die aus der documenta fifteen hervorgebrochenen Debatten ins Gespräch kommen und die Realitäten von Antisemitismus und Israelhass im internationalen Kontext neu bewerten müssen.

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