Auf die Menschen in Deutschland kommt ein konfliktträchtiges Tarifjahr 2023 zu. Mit hohen Abschlüssen wollen die Gewerkschaften für ihre Mitglieder die Folgen der Inflation mildern und zeigen daher bei den Forderungen wenig Zurückhaltung: 15 Prozent mehr Geld verlangt Verdi für die rund 160.000 Tarifbeschäftigten der Deutschen Post, wo am 6. Januar mit den Verhandlungen begonnen werden soll.
Das Unternehmen hat die Zahl als «realitätsfern» bezeichnet, so dass schwierige Verhandlungen mit begleitenden Warnstreiks zu erwarten sind. Im kommenden Tarifjahr wird nach Zählung des gewerkschaftlichen WSI-Tarifarchivs für rund elf Millionen Beschäftigte verhandelt – nach rund zehn Millionen im Jahr 2022. Nachdem die großen Industriebranchen Metall und Chemie ihre Verträge unterschrieben haben, folgen der öffentliche Dienst von Bund und Kommunen sowie die einstigen Staatsunternehmen Post und Bahn.
Später im Jahr folgen der Handel und die Beschäftigten der Länder sowie weitere kleine Branchen. Das Thema ist stets gesetzt: «Angesichts der hohen Inflationsraten stehen die kommenden Tarifverhandlungen ganz im Zeichen der Kaufkraftsicherung», sagt der Leiter des Tarifarchivs, Thorsten Schulten.
Zuwächse von Inflation aufgefressen
Bereits 2021 war die sonst so stetige Entwicklung der Tarifgehälter in der Corona-Flaute geradezu eingebrochen. Die vergleichsweise geringen Zuwächse wurden gleichzeitig von der steigenden Inflation aufgefressen, so dass unter dem Strich deutliche Reallohnverluste standen. Im dritten Quartal 2022 mussten die Beschäftigten einen preisbereinigten Verdienstrückgang von 5,7 Prozent verkraften, wie das Statistische Bundesamt feststellte. Hintergrund ist die Inflation. So waren im November Waren und Dienstleistungen für Verbraucher zehn Prozent teurer als ein Jahr zuvor.
Der neue Chef der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG), Martin Burkert, hat dem Bund als Eigentümer bereits ein «hitziges Frühjahr» angekündigt, in dem seine Bahner gemeinsam mit den Kollegen von Verdi ihre Aktionen abstimmen. Publikumswirksame Warnstreiks auf der Schiene könnten sich dann mit Arbeitsniederlegungen an Flughäfen, bei der Müllabfuhr oder in Kindergärten abwechseln. Die EVG hat ihre Forderung noch nicht festgelegt. Verdi will für den öffentlichen Dienst 10,5 Prozent mehr.
Einmalzahlungen sollen preistreibende Wirkung mildern
Die Bundesbank registriert bereits seit dem Frühjahr 2022 höhere Lohnabschlüsse, die mit 5 bis 6 Prozent deutlich über den langjährigen Werten liegen, die nur ganz selten 3 Prozent überschritten. Die IG Metall war zuletzt mit der Forderung nach 8 Prozent mehr Geld für die 3,8 Millionen Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie in den Arbeitskampf gezogen. Im Pilotbezirk Baden-Württemberg einigte man sich dann auf eine Lohnsteigerung von 5,2 Prozent zum Juni 2023 und weiteren 3,3 Prozent ab Mai 2024 bei einer Laufzeit von 24 Monaten.
Mit vorab vom Staat steuer- und abgabenfrei gestellten Einmalzahlungen wird zudem versucht, die preistreibende Wirkung stark steigender Löhne abzumildern. Die Metaller wie auch die Chemie haben den Spielraum von bis zu 3000 Euro bis Ende 2024 voll ausgereizt. Nicht nur die Bundesbank sieht in derartigen «Inflationsausgleichsprämien» ein Muster für die anstehenden Lohnverhandlungen in vielen anderen Branchen.