Paul Stanley, Eric Singer, Gene Simmons und Tommy Thayer (l-r) von Kiss 2008 in Oberhausen. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Achim Scheidemann/dpa)

Nur etwa zehn Leute haben sich im Popcorn Pub im New Yorker Stadtteil Queens eingefunden, als dort am 30. Januar 1973 vier Männer mit ein wenig Make-up im Gesicht die kleine Bühne betreten. Sie nennen sich Kiss und spielen an diesem Abend ihr erstes Konzert. Dass Paul Stanley, Gene Simmons, Ace Frehley und Peter Criss bald darauf mit Hymnen wie «Rock And Roll All Nite», «Detroit Rock City» und «Shout It Loud» Rockgeschichte schreiben werden, ahnt an diesem Abend niemand.

Kiss-Bassist und Sänger Gene Simmons (73) erinnert sich an das spärliche Publikum. «Meine damalige Freundin war da, ein Mädchen names Jan, eine Freundin von ihr, die was mit Paul hatte, Peters damalige Frau Lydia und noch ein paar Freunde», erzählt er im Zoom-Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur in London.

35 oder 50 Dollar Gage für den ersten Gig

Den Gig hat er vorher selbst am Telefon eingefädelt, als die Band noch gar nicht Kiss hieß, sondern Wicked Lester. «Wir hatten gerade unseren ersten Manager gefeuert, also war ich quasi der Manager», so Simmons. «Ich erinnere mich daran, dass ich dem Manager gesagt habe, er soll uns engagieren, weil wir großartig sind. Und ich erinnere mich, dass ich für die ganze Band 35 Dollar für die erste Show rausgehandelt habe.» Ganz genau erinnert sich Simmons womöglich nicht mehr. In der Vergangenheit sprach er auch mal von 50 Dollar für den Gig. Jedenfalls wenig Geld für die heutigen Hardrock-Millionäre.

Dass der Popcorn Pub – manchmal auch Popcorn Club genannt – ziemlich leer war, stört die Musiker damals angeblich nicht. «Wir waren so begeistert, dass wir diese Songs spielen konnten, die wir geschrieben hatten – „Deuce“, „Strutter“, „Black Diamond“ und all diese Lieder», sagt Simmons. Alle drei landen ein Jahr später auf dem ersten Kiss-Album und gelten heute als Klassiker, die die US-Rocker regelmäßig bei ihren Konzerten spielen.

«Es ist komisch, denn nach all dieser Zeit glaube ich nicht, dass Paul oder ich heute noch solche simplen, geradlinigen Riff-Songs schreiben könnten», sagt Simmons heute, «denn damals war alles so unschuldig. Man hat nicht drüber nachgedacht. Wir hatten nichts zu verlieren, weil wir ja bettelarm waren. Wenn man eh kein Geld verdient, kann man wenigstens tun, was man liebt.»

Ikonische Bemalung mit Superhelden-Appeal

Der Club, der bald in The Coventry umbenannt wird, bleibt bei weiteren Auftritten nicht leer. «Als wir das erste Mal dort gespielt haben, war niemand da», erinnert sich Kiss-Sänger und Gitarrist Paul Stanley (71) im Programmheft der laufenden Tournee. «Als wir das letzte Mal dort gespielt haben, kam man kaum noch zur Tür herein.»

Hatten sich Kiss mit ihrem Make-up anfangs noch an der Band New York Dolls orientiert, entwickeln sie bald die ikonische, fantasievolle Bemalung mit Superhelden-Identität. Stanley ist «Starchild», Simmons «The Demon», Gitarrist Ace Frehley wird «Space Ace» und Drummer Peter Criss der «Catman». Dazu tragen sie ausgefallene Bühnenkostüme.

Nach der Veröffentlichung des Debütalbums im Februar 1974 bringt das Quartett noch im Oktober desselben Jahres den Nachfolger «Hotter Than Hell» raus. Es geht Schlag auf Schlag. Schon im März 1975 folgt das dritte Album «Dressed To Kill». Die Platten sind zunächst kein Erfolg. Doch mit immer wilderen Bühnenshows mit Feuerwerk und Flammen sorgen Kiss für Furore. Simmons spuckt Kunstblut und Feuer und verbrennt sich einmal sogar die Haare.

Mit dem Erfolg kommen auch die Spannungen

Simmons Erinnerung an die Zeit ist 50 Jahre später etwas neblig. «Nur anderthalb Jahre nach der Bandgründung haben wir in Kalifornien im Anaheim-Stadion gespielt», behauptet er, «ohne Hitalbum, ohne Videos, ohne alles.» Ganz so schnell ging es allerdings nicht. Tatsächlich findet der Auftritt in Anaheim im August 1976 statt – nach Veröffentlichung des Live-Albums «Alive!», das Kiss den Durchbruch bringt, und nach «Destroyer», das heute als Magnum Opus der Gruppe gilt.

Mit dem Erfolg nehmen die Spannungen in der Gruppe zu, die schließlich zum Ausstieg von Peter Criss und bald darauf auch Ace Frehley führen. «Der Ruhm verändert dich nicht. Er erlaubt dir nur, das Arschloch zu sein, das du schon bist», sagt Stanley in dem Dokumentarfilm «Kiss – Die heißeste Band der Welt».

Simmons und Stanley machen mit Kiss immer weiter, zwischenzeitlich sogar mehr als zehn Jahre ohne das berühmte Make-up. Nach mehreren Besetzungswechseln – darunter ist eine umjubelte Reunion mit Criss und Frehley – sind heute Gitarrist Tommy Thayer und Schlagzeuger Eric Singer in der Band. Beide sind seit über 20 Jahren dabei.

Im Sommer spielen sie in Deutschland

Im Jubiläumsjahr setzen Kiss ihre Abschiedstournee fort und erwecken den Eindruck, dass sie eigentlich gar nicht aufhören wollen. Immerhin geht die «End Of The Road»-Tour nun schon ins fünfte Jahr. Im kommenden Sommer wollen es Simmons und Co. in München, Dresden, Berlin, Mannheim und Köln krachen lassen. Mit Feuer und Kunstblut.

«Wir haben immer unser eigenes Ding durchgezogen», betont er. «Wir haben ein wenig mit Disco herumgespielt – mit „I Was Made For Loving You“. Wir haben ein paar Balladen gemacht und sowas alles. Aber im Großen und Ganzen, wenn man es sich anschaut: Gitarren, Gitarren, Gitarren. Wir haben zu unseren eigenen Bedingungen gewonnen.»

50 Jahre nach dem nun historischen ersten Auftritt im Popcorn Pub ist «The Demon» also äußerst zufrieden mit der Karriere von Kiss. Würde der 73-jährige dem 23-jährigen Gene Simmons gern etwas sagen? «Ja. Ich würde ihm sagen: Mach alles genauso.»

Von Philip Dethlefs, dpa

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