Die «Wirtschaftsweise» Veronika Grimm sorgt für Verstimmung im Sachverständigenrat. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Bernd von Jutrczenka/dpa)

Keine vier Jahre ist es her, dass der Sachverständigenrat zur Beurteilung der wirtschaftlichen Entwicklung zwei Frauen in seinen erlauchten Kreis aufgenommen hat. Monika Schnitzer, Professorin aus München und ältere sowie höher dekorierte der beiden Frauen, wurde zwei Jahre später sogar zur ersten weiblichen Vorsitzenden des wichtigen Beratergremiums der Bundesregierung, der sogenannten Wirtschaftsweisen, ernannt. Doch Schlagzeilen macht vor allem eine: Veronika Grimm. 

Zwischen Grimm auf der einen und Schnitzer sowie den drei anderen Mitgliedern des Sachverständigenrates Achim Truger, Ulrike Malmendier und Martin Werding ist es jetzt zum offenen Streit gekommen. Grimm, versierte Expertin auf dem Gebiet der Energiepolitik, möchte in der nächsten Woche ein Aufsichtsratsmandat beim Energiekonzern Siemens Energy antreten.  

Die anderen vier «Wirtschaftsweisen» sehen darin einen Interessenkonflikt und fordern Grimm auf, entweder auf das Mandat bei Siemens Energy oder aber auf ihren Posten im Sachverständigenrat zu verzichten. Die anstehende Energietransformation sei von «herausragender wirtschaftlicher und wirtschaftspolitischer Bedeutung». In der Ratsarbeit sei die Expertise von Veronika Grimm daher von großem Wert. Es komme hinzu, dass die Sensibilisierung der Öffentlichkeit für Themen der Rechtstreue (Compliance) zugenommen habe.

Erstmals Dissonanzen wegen Aufsichtsratsmandat 

Das Vorgehen ist ein Novum für das Gremium. Schon früher waren einzelne Mitglieder in Aufsichtsposten bei deutschen Aktiengesellschaften aktiv. Doch nie hatte es öffentliche Dissonanzen deswegen gegeben.  «Ich habe das im Vorfeld prüfen lassen – die rechtliche Situation ist eindeutig», sagte Grimm der Deutschen Presse-Agentur. Die Kolleginnen und Kollegen im Rat seien umgehend informiert worden.  

Der «Welt» sagte Grimm: «Es ist aus gutem Grund nicht vorgesehen, dass die Politik Mitglieder des Sachverständigenrates während ihrer Amtszeit abberuft: damit dieses Gremium unabhängig beraten kann und eben nicht unter dem Druck steht, nur eine bestimmte, gewünschte Meinung zum Ausdruck zu bringen. Die Unabhängigkeit des Sachverständigenrates ist mit dem Anliegen, mich aus dem Amt zu drängen, nicht vereinbar.» Grimms Mandat reicht bis 2027.  

Das Gremium soll sich zunächst schriftlich an den Aufsichtsratschef von Siemens Energy, Joe Kaeser, gewandt haben. Später gab es dann eine E-Mail an Grimm mit der Aufforderung zum Verzicht – mit Kopie an die Bundesminister Christian Lindner (FDP, Finanzen), Robert Habeck (Grüne, Wirtschaft) sowie Kanzleramtsminister Wolfgang Schmidt (SPD). Zuerst hatte das «Handelsblatt» berichtet.

Tatsächlich gibt es unterschiedliche Auffassungen über die Vereinbarkeit eines Aufsichtsratspostens bei Siemens Energy und der Tätigkeit bei den «Wirtschaftsweisen». Die Organisation Lobbycontrol sieht einen Interessenkonflikt. «Wer die Bundesregierung in gesamtwirtschaftlichen Fragen berät, sollte nicht von einem Großunternehmen bezahlt werden und in dessen Gremien sitzen», betonte der Verein.

Opposition sieht Angriff auf kritische Ökonomin 

Auch der Compliance-Experte Professor Christian Strenger hält Grimms Wahl in den Aufsichtsrat für problematisch. Kaeser müsse als Aufsichtsratsvorsitzender von Siemens Energy klären, ob durch die geplante Berufung die Gefahr von Interessenkonflikten entstehe, hatte er der «Welt» schon vor einiger Zeit gesagt. Das Unternehmen wird von der unter anderem durch Grimm beratenen Bundesregierung mit einer Milliardenbürgschaft gestützt  – was die Lage nach Einschätzung der Grimm-Kritiker nicht entspannt. 

Unterstützung kommt von FDP und Union. Der wirtschaftspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Reinhard Houben sagte:  «Aus dem Aufsichtsratsmandat von Frau Grimm bei Siemens Energy einen Interessenkonflikt zu konstruieren, ist perfide.»  Der Vorgang habe das Potenzial, die Reputation des Gremiums der «Wirtschaftsweisen» und deren Mitglieder irreparabel zu beschädigen. Seine Kollegin Julia Klöckner von der CDU/CSU-Fraktion ging einen Schritt weiter: «Es scheint, als wolle man, auch von Regierungsseite, eine kritische Stimme loswerden, weil Frau Prof. Grimm nicht auf Linie ist.» 

Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sagte, der Sachverständigenrat sei ein unabhängiges Gremium. Konkret wollte er sich nicht äußern zum Fall Grimm. Generell sagte Habeck, das Gesetz sehe keine Ausschlussregeln bei Interessenkonflikten vor, dennoch sollten solche vermieden werden. Der Sachverständigenrat werde klug genug seien, dass Interessenkonflikte gelöst werden.

Lukrativer Posten für bekannte Professorin

Nach derzeitiger Regelung erhält ein ordentliches Aufsichtsratsmitglied bei Siemens Energy eine Grundvergütung von 120 000 Euro pro Jahr, hinzu kommen Sitzungsgelder und gegebenenfalls Vergütungen für Ausschussarbeiten, was sich auf weitere mehrere Zehntausend Euro summieren kann. 

Grimm unterscheidet sich von anderen Mitgliedern des Expertengremiums der «Wirtschaftsweisen durch eine große Präsenz in der Öffentlichkeit. Als begehrte Gesprächspartnerin in vielen Talkshows, dezidiert sprechfähig zu fast allen Themen rund um die Ökonomie in Deutschland, wurde Grimm in den vergangenen Jahren zu so etwas wie dem Gesicht der «Wirtschaftsweisen» – ohne jedoch Vorsitzende zu sein. Schnitzer blieb in der öffentlichen Wahrnehmung dahinter zurück. Hinzu kommt, dass Grimm bekannt dafür ist, kein Blatt vor den Mund zu nehmen. 

So hatte sie sich in der Vergangenheit etwa konträr zur Linie der Bundesregierung dafür ausgesprochen, die damals noch aktiven deutschen Atomkraftwerke über mehrere Jahre weiterzubetreiben. Einer möglichen Lockerung der Schuldenbremse steht sie skeptisch gegenüber, auch beim Klimageld zählte sie die Bundesregierung an. Andererseits ist die Wasserstoff-Expertin Grimm auch für Umwelt- und Klimaschutz-Themen offen. 

Schnitzer hatte dagegen zuletzt häufig Kritik von der Union einstecken müssen, etwa als sie vorschlug, die Witwenrente abzuschaffen. Entgegen der Position der FDP pochte sie auf eine Reform der Schuldenbremse.  

Zuletzt hatte Grimm Schlagzeilen gemacht, als sie den Wechsel von ihrer angestammten Hochschule, der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen, an die neu gegründete TU Nürnberg bekannt gab – an dem Prestigeprojekt in der Heimatstadt von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) gehört Grimm zu den ersten Professorinnen. 

Von Michael Donhauser, dpa

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