Mit insgesamt 137 Zügen ist der ICE-4-Fuhrpark der Bahn vollständig. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Maurizio Gambarini/dpa)

Mindestens 444 Sitze und bis zu 260 Kilometer pro Stunde: Der ICE 4 gilt bei der Deutschen Bahn als «Rückgrat des Fernverkehrs». Seit 2017 ist er in Betrieb. Vor wenigen Wochen lieferte der Hersteller Siemens Mobility den letzten der insgesamt 137 bestellten Züge an den bundeseigenen Konzern.

Bahnchef Richard Lutz und Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) tauften ihn in Berlin auf den Namen «Spree». «Mit ihm wird das bisher größte Programm zur Modernisierung der Fahrzeugflotte der Deutschen Bahn abgeschlossen», sagte der Minister bei der Veranstaltung am Berliner Hauptbahnhof.

Fachleute bescheinigen dem Konzern, beim Ausbau seiner Fernverkehrsflotte gut voranzukommen. Mit der Auslieferung des letzten bestellten ICE 4 hat sich die Zahl der ICE-Züge bei der Deutschen Bahn seit 2017 von damals rund 270 auf heute mehr als 400 erhöht. Bis 2030 soll diese Zahl auf mehr als 450 Fahrzeuge steigen. Das Durchschnittsalter der Fernzüge soll im selben Zeitraum sinken, von derzeit 18 auf dann 12 Jahre. Neben dem ICE 4 läuft seit mehr als einem Jahr die Auslieferung des ICE 3 Neo, einer Neuauflage des ICE 3. 90 dieser Züge sollen bis 2028 in Betrieb sein. Für Ende dieses Jahres ist zudem der Auslieferungsbeginn von 79 sogenannten ICE L geplant.

Fahrzeugstörungen zurückgegangen

Damit sei die Bahn bei der Erneuerung der Flotte auf dem richtigen Weg, sagt Detlef Neuß, Vorsitzender des Fahrgastverbands Pro Bahn. «Ob das ausreicht, wird sich nachher im Betrieb zeigen.» Mehr Verlässlichkeit im Fernverkehr hänge auch davon ab, wie störanfällig die neu hinzukommenden Fahrzeuge seien.

Probleme bei den Zügen scheint die Bahn inzwischen im Griff zu haben. «Fahrzeugstörungen mit Auswirkungen auf die Pünktlichkeit sind im Vergleich zu 2017 um über 40 Prozent zurückgegangen», teilt der Konzern auf Anfrage mit. Das war mal anders. Wie seine Vorgänger litt der ICE 4 in den ersten Jahren unter Kinderkrankheiten: Ungemütliche Sitze, Probleme mit dem WLAN und im Jahr 2019 stoppte die Bahn die Auslieferung wegen fehlerhafter Schweißnähte über Monate. Die Züge, die den Verkehr verlässlicher machen sollten, führten nun selbst zu Verspätungen.

Infrastruktur bleibt Hauptproblem

Doch inzwischen sei der Zug ein «Stabilitätsanker im täglichen Eisenbahnverkehr in Deutschland», sagte Fernverkehrsvorstand Michael Peterson in Berlin. «Das Kundenfeedback des ICE 4 ist das beste von allen Baureihen, die wir bei der Deutschen Bahn haben.» Doch am Grundproblem der Bahn, der hohen Unpünktlichkeit, hat der Hochlauf bei den Fahrzeugen nichts geändert. Im Gegenteil: Seit der Inbetriebnahme des ICE 4 im Jahr 2017 hat sich die Pünktlichkeit im Fernverkehr deutlich verschlechtert. An den Zügen liegt das allerdings nicht.

«80 Prozent der Verspätungen sind im letzten Jahr auf die Störungen der Infrastruktur zurückgegangen», sagt Fahrgastverbandschef Neuß. «Marode Schienenwege, Signale, die nicht funktionieren, das ist eigentlich der Hauptgrund für die Verspätungen bei der DB AG.» Ähnlich sieht es auch der Geschäftsführer des Interessenverbands Allianz pro Schiene, Dirk Flege: «Zwar machen neue Fahrzeuge den Betrieb stabiler», sagte er der Deutschen Presse-Agentur. «Aber zur Verbesserung der Schieneninfrastruktur gibt es keine Alternative.»

Moderne Züge bräuchten ein auch ein modernes und leistungsfähiges Schienennetz, betonte Verkehrsminister Wissing. «Mit zunehmender Auslastung ist unser Netz störanfälliger geworden, vor allen Dingen auf den Hauptstrecken und in den Knoten.» Die Anlagen seien überaltert, weil in den vergangenen Jahren zu wenig Mittel für die Instandhaltung zur Verfügung gestellt worden seien.

Generalsanierung verschlingt Milliarden

Das Thema will die Bahn in den nächsten Jahren angehen mit der sogenannten Generalsanierung. 40 viel befahrene Streckenkorridore sollen bis zum Jahr 2030 grundlegend modernisiert und ertüchtigt werden. Für die Fahrgäste bedeutet das zunächst zusätzliche Einschränkungen, denn die Strecken werden für die Bauarbeiten jeweils über mehrere Monate gesperrt. Los geht es in diesem Sommer auf der sogenannten Riedbahn zwischen Frankfurt und Mannheim. Im kommenden Jahr ist den Angaben nach die Strecke zwischen Hamburg und Berlin dran.

Die Bahn beziffert den Finanzbedarf im Netz bis 2027 auf 45 Milliarden Euro. Rund 40 Milliarden Euro hatte Bundesverkehrsminister Wissing zugesagt, doch mit dem Haushaltsurteil im vergangenen Jahr gelten diese Pläne inzwischen nicht mehr als gesichert. Sollte weniger Geld fließen, müsste die Deutsche Bahn bei der geplanten Generalsanierung des Netzes deutlich abspecken. Die Unpünktlichkeit bliebe weiter hoch. «Wegen der weiteren Planungen sind wir fortlaufend im Gespräch mit unserem Eigentümer, dem Bund, der sich klar zur Schiene bekannt hat», teilte der Konzern dazu jüngst mit.

Der weitere Flottenhochlauf steht trotz der finanziellen Unsicherheit indes nicht infrage. «Wir haben die Beschaffung auf den Weg gebracht, und ich sehe keine Notwendigkeit, davon Abstand zu nehmen», sagte vor einigen Wochen der Aufsichtsratschef der Bahn, Werner Gatzer. «Es dauert ja eine Weile, bis die neuen Züge geliefert und bezahlt werden.»

Von Matthias Arnold, dpa

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