Viel Betrieb herrscht auf dem Baugelände der Tesla Gigafactory östlich von Berlin. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Patrick Pleul/dpa-Zentralbild/dpa)

Plötzlich schimmert der graue Koloss durch die Bäume an der Autobahn, unscheinbar in Stahl und Waschbeton, aber gigantisch. Als Elon Musk vor knapp zwei Jahren die erste europäische Tesla-Fabrik bei Berlin ankündigte, standen hier allenfalls Kiefern im märkischen Sand.

Jetzt ist die Gigafactory des amerikanischen Tech-Pioniers und Tesla-Chefs Realität. In wenigen Wochen sollen hier die ersten E-Autos vom Band laufen. Ein Husarenstück in einem Land, in dem es oft sechs Jahre dauert, auch nur ein Windrad zu errichten.

Am Samstag will sich Musk dafür bei einem Bürgerfest mit bis zu 9000 Besuchern auf dem Firmengelände in Grünheide feiern lassen. Dem exzentrischen Milliardär ist es mit dem Projekt gelungen, den europäischen Automarkt aufzumischen. VW-Chef Herbert Diess bezog sich Anfang Oktober ausdrücklich auf die Konkurrenz mit Tesla, als er auf Twitter schrieb: «We are ready!» Tesla vermeldet Börsen-, Umsatz- und Absatzrekorde. Und Musk hat die Politik in Brandenburg und im Bund geradezu verzückt. Für die Region sei die Autofabrik mit künftig vielleicht einmal 40.000 Jobs «ein Lottogewinn», findet Grünheides Bürgermeister Arne Christiani (parteilos).

Kritiker beklagen rechtliche «Grauzone»

Längst nicht alle schwärmen für den Industriebau vor den Toren von Berlin. Steffen Schorcht von der Bürgerinitiative Grünheide schaut von einer nahen Brücke sorgenvoll auf die riesige Baustelle, wo neben dem fast fertigen Hauptgebäude ein noch nacktes Gerippe in den grauen Oktoberhimmel ragt. Das wird die Batteriefabrik neben dem Autowerk. Wie andere Kritiker warnt Schorcht vor Umweltschäden.

Für die neuen Produktionsanlagen wurden nicht nur 90 Hektar Kiefernwald gerodet. Gebaut wird zudem teils im Wasserschutzgebiet, und Schorcht fürchtet sowohl Verschmutzung als auch einen zu hohen Wasserverbrauch der Fabrik. Immerhin will Tesla in Grünheide schon bald rund 500.000 Autos pro Jahr bauen, beginnend mit dem Model Y. Mögliche Störfälle, der Lieferverkehr, die Pendler, die Luftverschmutzung – das alles macht Kritikern Kopfzerbrechen.

Besonders wurmt die Gegner das Vorgehen des Unternehmens – eben dieses für Großprojekte in Deutschland so ungewöhnliche Tempo. Musk ging das alles immer noch viel zu langsam, immer wieder drängelte er, beklagte sich über die Länge der Genehmigungsverfahren. Doch bauen konnte er trotzdem. Denn für das Gelände gab es schon seit rund 20 Jahren einen Bebauungsplan, damals erstellt für BMW, bevor sich das deutsche Unternehmen gegen den Standort entschied. Und die Behörden erteilten für Tesla sogenannte vorzeitige Zulassungen, die bei einer positiven Prognose für ein Projekt möglich sind, obwohl die umweltrechtliche Prüfung noch läuft.

Alle Klagen liefen ins Nichts

Die letzte Genehmigung für das Gesamtprojekt fehlt noch, bis Mitte Oktober dauert eine neue Erörterung von Hunderten von Einwänden. Der Bauherr hat das Risiko, notfalls alles zurückbauen zu müssen, falls die Behörden doch nein sagen. Aber Tesla habe «einen hohen dreistelligen Millionenbetrag schon verbaut», sagt Schorcht. «Wer will hier sagen, das wird zurückgebaut?» In einer «rechtlichen Grauzone» seien hier Fakten geschaffen worden, lautet die Kritik. «Das Werk steht», sagt auch Michael Ganschow von der Grünen Liga Brandenburg. Alle bisherigen Klagen liefen ins Nichts.

So erwarten Befürworter wie Kritiker, dass es bald grünes Licht gibt. Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) sagt es im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur so: «Sofern die Anhörung gut läuft und die Einwendungen, die gekommen sind, gut abgearbeitet werden, halte ich es für möglich, dass die Entscheidung über die Genehmigung noch in diesem Jahr kommen wird.»

Mehr als eine Milliarde Euro vom Staat?

Woidke ist ein Fan des Projekts, das aus seiner Sicht «zu einer weltweiten Aufmerksamkeit für Brandenburg führt». Das Land hat bereits 120 Millionen Euro Förderung für die Batteriefabrik zugesagt. Hinzu kommen Mittel aus einem europäischen Gemeinschaftsprojekt. Der Bescheid soll nach Angaben des Bundeswirtschaftsministeriums vor Jahresende ergehen. Über den Umfang sagt das Ministerium noch nichts. Nach einem Bericht des «Tagesspiegel» hat Tesla Aussicht auf staatliche Mittel von insgesamt rund 1,1 Milliarden Euro.

Auf rund 1,1 Milliarden Euro hatte Tesla ursprünglich auch die Errichtungskosten in Grünheide veranschlagt. Musk sagte aber schon vergangenes Jahr, das Budget werde überschritten. Wie viel Geld bis jetzt floss, wie viele Menschen in Grünheide bauen und wie viele für die Produktion angestellt wurden, ist vom Unternehmen nicht leicht zu erfahren. Auf Fragen der dpa dazu gab es zunächst keine Antworten.

Musk versteht sich eher auf die großen Botschaften. Sein E-Autokonzern ist inzwischen an der Börse gut 780 Milliarden Dollar wert, ein Vielfaches der traditionellen Konkurrenten. Im dritten Quartal brachte er weltweit gut 241.000 Fahrzeuge an die Kunden, die Hälfte mehr als ein Jahr zuvor. Dass allein in Grünheide 500.000 Autos produziert werden sollen, zeigt Musks Ambition.

Auf der Tesla-Webseite lächeln glücklich aussehende Menschen mit Sicherheitsbrillen zur Aufforderung, sich zu bewerben: «Die Gigafactory Berlin-Brandenburg wird die fortschrittlichste Serienproduktionsstätte für Elektrofahrzeuge der Welt sein.» «Fahrzeuge von Weltklasse» entstünden hier. Viel mehr steht da nicht.

«Grünheide will kein zweites Wolfsburg sein»

Grünheides Bürgermeister Christiani geht von 3000 Mitarbeitern zum Produktionsstart aus und 12.000 bei Volllast der Anlagen, die jetzt im Bau sind. 40.000 könnten es einmal bei weiteren Ausbaustufen werden, so stehe es offiziell im Bebauungsplan. 40 000 Mitarbeiter in einem Örtchen von derzeit 9000 Einwohnern – wo kriegt man die her und wo bringt man sie unter? Ist dieses Projekt nicht wie ein wirtschaftlicher Meteoriteneinschlag für eine Gemeinde in idyllischer Landschaft zwischen Seen und Wäldern und einem Hauch von Gemächlichkeit vor den Toren der Hauptstadt?

Das sehe er «verhältnismäßig entspannt», sagt Christiani in seinem Büro im dritten Stock des Rathauses. Studien zufolge würden 51 Prozent der benötigten Mitarbeiter aus Berlin kommen, weitere 35 Prozent aus Brandenburg, acht Prozent aus Polen, die übrigen seien «Weiterpendler». Seine Gemeinde habe ja nur begrenzte Fläche und könne im äußersten Fall um 3000 Bewohner wachsen. «Grünheide will und kann kein zweites Wolfsburg sein», sagt der parteilose Bürgermeister, der seit 2003 amtiert.

Goldene Zeiten sieht er für Grünheide dennoch. Die erste Verbesserung: Der Zug nach Berlin fährt jetzt im Halbstundentakt. Dann spricht er über die Jobchancen für junge Erwachsene, die Perspektiven für Familien, die Aussicht auf Nachwuchs für die freiwillige Feuerwehr, die geplante Rettungszentrale, die Anziehungskraft für weitere Investoren, die angedachte Hochschule. Und dann natürlich die Gewerbesteuer. Grünheide, so meint Christiani, «wird irgendwann zu den reichsten Gemeinden des Landes Brandenburg gehören, davon gehe ich aus».

Von Verena Schmitt-Roschmann und Oliver von Riegen, dpa

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