Im Internet werden Menschen in Deutschland laut einer Studie in großem Umfang zu Opfern von Beleidigungen, Drohungen und sexuellen Belästigungen. So wurden 49 Prozent der Nutzerinnen und -nutzer nach eigenen Angaben bereits im Internet beleidigt – 12 Prozent sogar häufig. Über 41 Prozent der Menschen wurden demnach schon falsche Dinge in sozialen Medien verbreitet. «Hass im Netz ist leider allgegenwärtig», sagte Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) bei der Vorstellung der Studie in Berlin.
Zum Opfer von sexueller Belästigung oder Androhung von physischer Gewalt wurde laut der Studie jeweils ein Viertel der Befragten – bei 7 beziehungsweise 5 Prozent der Betroffenen kommt dies sogar häufig vor. Persönliche Informationen wie Wohnort oder Adresse fanden sich bei mehr als jeder und jedem Fünften schon einmal gegen den eigenen Willen im Netz. 42 Prozent der jungen Frauen zwischen 16 und 24 Jahren erhielten bereits ungefragt ein Nacktfoto.
«Neue Welle des Judenhasses»
Innenministerin Nancy Faeser (SPD) mahnte zudem, seit den Terrorangriffen der Hamas auf Israel im vergangenen Oktober gebe es «eine furchtbare neue Welle des Judenhasses». In nahezu allen sozialen Medien habe die Verbreitung rechtswidriger Inhalte, Desinformation sowie von Hass und Hetze erheblich zugenommen. «Antisemitischer, rassistischer und demokratiefeindlicher Hass wird vor allem im Netz befeuert», sagte Faeser.
Mehr Hass im Netz als früher
Insgesamt gilt laut den Herausgebern der Studie: «Hass im Netz hat in den letzten Jahren zugenommen», wie Hanna Gleiß von «Das NETTZ» sagte, einer Stelle gegen Hassrede im Internet, die die Erhebung gemeinsam mit anderen Initiativen herausgebracht hat. Befragt worden waren mehr als 3000 Internetnutzerinnen und -nutzer ab 16 Jahren. 89 Prozent von ihnen sagen, es sei heute mehr Hass im Netz zu finden als in der Vergangenheit.
«Die Jüngsten sind am meisten betroffen», so Gleiß. Auch Frauen werden überproportional oft Zielscheibe entsprechender Angriffe. Die Frage, ob sie schon von Hass im Netz betroffen waren, bejaht fast jede dritte Frau zwischen 16 und 24 Jahren. Bei den Männern gleichen Alters ist es nur gut jeder Fünfte. Mit dem Alter nehmen die Anteile ab. «Wir laufen Gefahr, dass eine ganze Generation das als Normalität begreift», sagte Geiß.
Anfeindungen wegen Ansichten und Aussehen
Auch Menschen mit «sichtbarem Migrationshintergrund» und Menschen mit homo- oder bisexueller Orientierung sind laut der Erhebung besonders oft Anfeindungen ausgesetzt – etwa nur 13 Prozent der heterosexuellen Menschen, aber 28 Prozent der homosexuellen und sogar 36 Prozent der bisexuellen.
Bei der Frage, worauf sich bei Betroffenen der Hass im Netz bezog, stehen mit 41 Prozent die politischen Ansichten an der Spitze – dabei sind Anhängerinnen und Anhänger der Grünen besonders betroffen, gefolgt von jenen von AfD und SPD. Bei 37 Prozent der von Hass im Netz Betroffenen bezogen sich Anfeindungen auf ihr Aussehen, bei 24 Prozent auf die eigene körperliche oder psychische Gesundheit, bei 17 Prozent auf einen Migrationshintergrund.
Folge: Sozialer Rückzug
Paus sagte, besonders häufig Opfer von Hass im Netz würden etwa Frauen, politisch Engagierte, jüdische, muslimische, nicht weiße Menschen. Die Folge laut der Studie: Die Betroffenen ziehen sich mit eigenen Posts und Äußerungen verstärkt zurück. So gaben 24 Prozent aller Befragten an, ihr Profil im Zusammenhang mit Hass im Netz nicht mehr benutzt, deaktiviert oder gelöscht zu haben.
Opfer berichteten von sozialem Rückzug, psychischen Beschwerden und Problemen mit ihrem eigenen Selbstbild, sagte der Vorsitzende der Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur, Rüdiger Fries. Viele erlebten es als unmöglich, etwas gegen die virtuellen Anfeindungen zu unternehmen. 70 Prozent der Betroffenen gaben an, sich selbst wegen Hass im Netz seltener an Diskussionen im Internet zu beteiligen. Die Studien-Herausgeber warnten davor, dass gerade Angehörige von besonders oft angefeindeten Gruppen im Netz verstummen würden. «Den Hatern und Haterinnen wird das Feld überlassen», sagte Fries.
EU-Regeln sollen helfen
Effektive Meldesysteme, unabhängiger Rat sowie Hilfsangebote – das soll nach dem Willen der Familienministerin verstärkt gegen Hass im Netz helfen. Paus verwies zudem auf die neuen EU-Vorschriften im Gesetz über digitale Dienste. Dies soll die Entfernung illegaler Inhalte erleichtern. Für große Online-Plattformen und Suchmaschinen sollen besondere Sorgfaltsanforderungen gelten.
Faeser forderte, die neuen Instrumente des Gesetzes müssten jetzt konsequent durchgesetzt werden. «Wir setzen auf Prävention, auf die konsequente Löschung von Hetze und auf die strafrechtliche Verfolgung der Täter.» Angesichts der Welle antisemitischer und terroristischer Beiträge habe das Bundeskriminalamt von Oktober bis Februar mit über 3500 Löschersuchen und 290 Entfernungsanordnungen reagiert.