In «Death From Above» vom Münchner Publisher Lesser Evil kämpfen Spieler mit einer Drohne gegen russische Angreifer. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Lino Mirgeler/dpa)

Auf der Jagd nach russischen Soldaten zieht die Drohne einen blau-gelben Schweif hinter sich her. Kurz darauf wirft sie über einem Soldaten ihre tödliche Fracht ab. Was sich auf dem Bildschirm zeigt, ist aber keine echte Szene aus dem seit mehr als zwei Jahren andauernden Krieg in der Ukraine, es ist eine Sequenz aus dem Computerspiel «Death From Above» (auf Deutsch: Tod von oben). 

Seit Ende Februar ist die finale Version des Spiels vom Münchner Publisher Lesser Evil auf dem Markt – und mit ihr auch die Frage, ob das moralisch vertretbar ist.

«Es ist Propaganda», sagt Hendrik Lesser, Erfinder des Spiels unverhohlen. Das Spiel sei ein politisches Statement. Die meiste Zeit verbringen Spielerinnen und Spieler damit, Granaten oder Bomben per Drohne über russischen Soldaten oder Kampffahrzeugen abzuwerfen. 

Dass es einen laufenden Konflikt thematisiert und damit in der deutschen Games-Branche eine Seltenheit ist – manche sagen eine Grenzüberschreitung -, sieht er nicht als Problem: «Ich möchte mich jetzt äußern, während des Krieges und nicht in fünf Jahren.» Lesser sieht sich als Künstler – «Death From Above» als Kunstwerk.

Satire, Politik und Propaganda 

Die Spielfigur, so erklärt es ein kurzes Intro, ist zunächst in russische Gefangenschaft geraten, dann befreit worden und nun mit einer Kampfdrohne bewaffnet in einer von Russland besetzten Stadt. «Death From Above» macht einen Konflikt spielbar, der in der Realität jeden Tag Menschenleben fordert. Nach Einschätzung der Nato sind bisher über 120.000 russische und über 70.000 ukrainische Soldaten gestorben. 

Es gebe auch satirische Elemente, sagt Lesser. An der Wand einer Baracke hängt ein Poster mit einem Konterfei – es soll Wladimir Putin darstellen. «Gesucht wegen Massenmordes», steht darüber. Per Tastendruck kann der Spieler dem Porträt einen Hitler-Bart und rote Terminator-Augen verpassen. Vereinzelt lassen sich Waschmaschinen im Spiel wegteleportieren – wohl eine Anspielung auf Berichte, nach denen das russische Militär aus Mangel an Halbleitern auf Haushaltsgeräte zurückgreift, um Panzer zu reparieren. 

Nicht grausam genug? 

Das Spiel ist simpel und nicht besonders realistisch. Die Granaten, die Spielende auf Soldaten fallen lassen, würden einen echten Menschen vermutlich zerfetzen. Nachdem der Rauch der Explosion verzogen ist, liegt im Spiel nur ein lebloser Körper am Boden. Keine Wunden, kein Blut. 

Die Konsequenzen des Krieges werden nicht deutlich, sagt Martin Geisler, Forscher für digitale Spiele an der Ernst-Abbe-Hochschule Jena. Er ist zwiegespalten: Aus medienpädagogischer Sicht wäre mehr Grausamkeit im Spiel zwar keine gute Idee, «der Medienwissenschaftler in mir würde das aber wahrscheinlich begrüßen». Erst dann beginne das Spiel das bedrückende Szenerio mitzutransportieren, findet Geisler. 

Beim Spielen komme es zu keiner wirklichen Identifikation mit der Spielfigur. «Ich habe keine Familie. Ich habe keinen Bezug zu dem Szenario. Ich schmeiße nur Granaten auf russische Soldaten», kritisiert er. Die ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Konflikt komme zu kurz. 

Drohnenpiloten, das sei aus der Forschung bekannt, litten unter ihren Handlungen. «Das würde ich mir wünschen: Diesen inneren Konflikt im Spiel hervorzurufen», sagt Geisler. Das könne sich ein Propaganda-Spiel aber nicht leisten, denn es wolle ja eben keine Differenzierung. 

Bruch des Völkerrechts 

Tatsächlich stellt «Death From Above» Spielerinnen und Spieler zwischendurch vor eine heikle Entscheidung. Wenn russische Soldaten sich ergeben, können sie entweder gefangen genommen oder getötet werden. Letzteres passiere in der Realität und auch im Spiel zum Teil aus Versehen und bilde damit auch die Gräuel des Krieges ab, sagt Lesser. Es sei eine bewusste Entscheidung gewesen, die Wahl offenzulassen. Sollten Spielende die russischen Soldaten töten, werden ihnen mit dem Verweis auf das Völkerrecht Punkte abgezogen.  

Ein solcher Hinweis sei zwar gut, sagt der Rechtsprofessor Matthias Kettemann, er hätte sich aber gewünscht, die Entwickler hätten den Spielern keine Wahl gegeben. «Weil natürlich jeder bewusste Verstoß gegen Recht nicht dazu beiträgt, moralische und rechtliche Regeln zu stabilisieren», betont der Jurist, der sich auch mit rechtsphilosophischen Fragen in Videospielen beschäftigt. Von der Kunstfreiheit seien solche Spielelemente aber gedeckt. 

Der Verband der deutschen Games-Branche wollte das Spiel auf dpa-Anfrage nicht direkt kommentieren. Games seien Kulturgüter und als solche ein Spiegel der Welt, in der sie entstehen. «Dementsprechend greifen Games auch politische Themen auf und können zu vielen gesellschaftlichen Debatten wichtige Impulse liefern. Dabei können auch streitbare Beiträge entstehen, doch wichtig bleibt auch bei Games immer die Freiheit der Kunst», teilt Geschäftsführer Felix Falk über einen Sprecher mit. 

Lesser: Dank von ukrainischen Soldaten 

Die Spielerinnen und Spieler von «Death From Above» leben laut Lesser überwiegend in der Ukraine. Etwa die Hälfte der Bestellungen kommt demnach aus dem Land. «Wir haben Soldaten von der Front, die uns geschrieben und sich bedankt haben, dass wir das Spiel gemacht haben», erzählt Lesser. 

Er betont, wie wichtig ihm diese Reaktionen seien. «Es ist nicht die Intention des Spiels, intellektuell zu sein.» Es gehe eher darum, die Wehrhaftigkeit und die Moral der ukrainischen Soldaten zu stärken. Auch finanziell soll das Spiel die Ukraine im Krieg unterstützen. 

Ein Teil der Einnahmen aus dem Verkauf spendet der Herausgeber nach eigenen Angaben an zwei ukrainische Organisationen: «Come Back Alive» und «Army of Drones». Beide beschaffen demnach unter anderem Schutzausrüstung sowie Drohnen und arbeiten mit den ukrainischen Streitkräften zusammen. Es sei jedoch schriftlich festgehalten worden, dass die Organisationen das Geld nicht etwa für bewaffnete Drohnen einsetze, versichert Lesser. 

«Ich bin mir ziemlich sicher, das war nicht das letzte Ukraine-Kriegsspiel», sagt Forscher Geisler. Von Spielen, die nach Kriegsende entwickelt werden, erhofft er sich mehr kritische Reflexion als bei «Death from Above».

von Niklas Treppner, dpa

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