Hito Steyerl will das Bundesverdienstkreuz vorerst nicht annehmen. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Rolf Vennenbernd/dpa)

Die Künstlerin Hito Steyerl lehnt eine Auszeichnung mit dem Bundesverdienstkreuz vorerst ab. Das kündigte sie in einem Brief an Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier an, den die Wochenzeitung «Die Zeit» in der neuen Ausgabe veröffentlicht. Die Künstlerin kritisiert darin, wie die Politik während der Pandemie mit der Kultur und dem Bildungswesen umgegangen sei.

«In den letzten 18 Monaten hat sich erwiesen, dass die Bereiche Bildung und Kultur in der Krise am wenigsten zählen», schreibt Steyerl. Sie sei keine Lockdown-Gegnerin und könne sich nicht weit genug von Schwurblern distanzieren. «Ich habe anders als einige meiner Kollegen nichts, aber auch gar nichts dagegen, zum solidarischen Schutz meiner Mitmenschen beizutragen.»

Ein halb garer, «dafür aber endloser Lockdown» habe es jedoch einem Teil der Bevölkerung ermöglicht, fast ohne Einschränkungen durch die Pandemie zu kommen, während anderen auf Dauer die Lebensgrundlagen entzogen worden seien, schreibt Steyerl.

Wie wird Systemrelevanz definiert?

«Ein Beispiel: Als Hochschullehrerin konnte ich fast drei Semester lang keine Studierenden treffen. Es wäre jedoch kein Problem für mich als Regisseurin gewesen, fast durchgehend Werbespots oder Reality-TV-Eliminationswettbewerbe zu drehen. Wie wird hier Systemrelevanz definiert? Ganz zu schweigen von Kultur?»

Steyerl sollte nach Angaben des Bundespräsidialamts Anfang Oktober mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet werden. Diesmal werden vor dem Tag der Deutschen Einheit mehrere Künstlerinnen und Künstler geehrt, die sich während der Pandemie engagiert haben. Steyerls Entscheidung werde respektiert und gleichermaßen bedauert, sagte eine Sprecherin des Bundespräsidenten.

Neue Ideen

Die Künstlerin schlug in ihrem Schreiben einige Ideen vor, wie man ihrer Meinung nach Kultur und Bildung unterstützen könnte – etwa indem man die soziale Sicherheit für Kulturschaffende, den Kampf gegen Diskriminierung und damit die Chancengleichheit verbessere. Vor allem aber auch, indem man «den gesellschaftlichen Verständigungsprozess der Kontrolle digitaler Monopolisten wie Facebook» entziehe.

«Die Pandemie hat jahrzehntelange strukturelle Missstände auf all diesen Gebieten noch deutlicher gemacht», schreibt Steyerl. «Verlautbarungen mit Fremdschäm-Parolen wie «Kultur ist Lebenselixier für alle» helfen da nicht weiter. Wenn Ihnen Kultur, Bildung und Teilhabe wichtig sind, können Sie das gern durch die entschlossene Anregung der oben genannten Maßnahmen unter Beweis stellen. Dann können wir gerne fröhliche Fist-Bump-Pics vereinbaren. Bis dahin lehne ich Ihr Angebot, mir das Bundesverdienstkreuz zu verleihen, höflich ab.»

Von