Ob Navi, Shopping-Portal oder Video-Streaming: Wer sein Smartphone nutzt, wischt häufig hin und her, um von einer App zur nächsten zu kommen. Geht es nach der Deutschen Telekom und deren US-Partner Brain Technologies, hat genau das perspektivisch ein Ende: Der Konzern stellte beim Mobile World Congress (MWC) in Barcelona den Prototypen eines Smartphones vor, bei dem der Nutzer keine Apps mehr sieht.
Statt auf dem Screen herumzutippen, reichen Sprachbefehle. Such mir ein Geschenk für meinen Sohn! Zeig mir den kürzesten Weg zu meinem Lieblingsrestaurant! Sag mir, wie ich ohne Streichhölzer Feuer im Wald mache! Ein Künstliche-Intelligenz (KI)-Concierge geht dann im Netz auf die Suche und zeigt Lösungen auf dem Screen an, ob Fotos oder Texte. Das soll einfacher sein als das Gefummel mit verschiedenen Apps.
Die sind dann nicht mehr nötig. Die Apps können auf dem Smartphone zwar im Hintergrund laufen, zu sehen sind sie aber nicht – sie spielen nur noch eine Nebenrolle, wenn überhaupt. «Das Smartphone kommt komplett ohne Apps aus», betont Telekom-Innovationschefin Claudia Nemat. Bei dem Vorhaben hat der Bonner Konzern zusammengearbeitet mit der KI-Firma Brain Technologies und mit dem Chiphersteller Qualcomm, beide aus den USA.
Apple und Google setzen weiter auf Apps
Beim genutzten Telefon handelt es sich um das Mittelklasse-Smartphone T-Phone. Das Besondere ist, was der Technologiepartner Brain daraus gemacht hat: Von ihm kommt die KI, die über die Cloud arbeitet. Außerdem gibt es eine zweite Version des KI-Phones, das offline arbeitet und einen Highspeed-Prozessor von Qualcomm hat. Ob eins dieser beiden derzeit nur als Prototyp existierende Handys jemals fertig entwickelt und im Laden zu kaufen sein wird, ist unklar.
Der Gründer und Chef von Brain Technologies, der 30 Jahre alte Amerikaner Jerry Yue, ist davon fest überzeugt. «Es wird auf den Markt kommen», sagt der umtriebige Geschäftsmann, der es 2022 auf die Forbes-Liste der weltweit 30 einflussreichsten Unternehmer geschafft hat, die jünger als 30 Jahre sind. Auf die Frage, wann das Gerät zu kaufen sein werden, sagt er: «Ich denke nicht, dass Sie sehr lange warten müssen.» Mit großem Selbstvertrauen tritt er vor das Publikum am Messestand der Telekom und sagt mit Inbrunst der Überzeugung, dass er auf einer Mission sei, und die laute: «Die Zukunft wird frei von Apps sein.» Die Macht, die die Apps derzeit hätten, werde zurückgehen an die Nutzer.
Damit haben sich Brain und die Telekom, die in den USA mit ihrer Tochter T-Mobile stark vertreten ist und dort die Schwergewichte AT&T und Verizon herausfordert, viel vorgenommen. Denn auf Apples iPhone und Telefonen großer Hersteller mit dem Google-System Android spielen Apps immer noch die Hauptrolle, auch wenn Nutzer mit Hilfe von Widgets die Oberfläche zum Teil selbst gestalten können. Der iPhone-Konzern bietet zudem für seine Computer-Uhr Apple Watch ein Zifferblatt an, auf dem Software-Algorithmen die gerade passenden Informationen anzeigen sollen.
Auf die Frage nach dem Marktstart geben sich Telekom-Verantwortliche zurückhaltend. Aber selbst wenn es am Ende nichts wird mit einem fertigen Produkt, so könnte das Projekt der Telekom das Ende der App-Ära einleiten. Ein Branchenvertreter, dessen Unternehmen im Wettbewerb mit der Telekom steht und seinen Namen nicht veröffentlicht haben will, sagt, dass das Vorhaben Potenzial habe. «Das werden wir im Blick behalten.»
Ben Woods vom Beratungsunternehmen CCS Insight sieht einen starken Trend hin zur Künstlichen Intelligenz in der Mobilfunkbranche. Das KI-Phone der Telekom sei hierbei ein interessantes Beispiel, wie die Zukunft aussehen könnte. Dass das Smartphone nun als fassbarer Prototyp in der Öffentlichkeit vorgestellt worden sei, sei ein bemerkenswerter Schritt, zumal ausgerechnet ein Netzbetreiber das tue.
Gelingt die Markteinführung?
Die Telekom sei offenbar fest davon überzeugt, sich mit so einem Produkt von der Konkurrenz unterscheiden zu können, sagt der Branchenfachmann. Bezüglich einer Markteinführung sei er derzeit aber skeptisch. Woods sieht zudem «das Risiko eines Hypes», der sich von der Realität absetze, und merkt an, dass Netzbetreiber bei Hardware bisher nicht allzu erfolgreich gewesen seien.
Die Telekom betont, dass es ihr um die Kundenbindung gehe – dass also Kunden treu bleiben oder zu Magenta wechseln, weil das Gerät neue Möglichkeiten biete. Annette Zimmermann vom Beratungsunternehmen Gartner rechnet damit, dass die Branche künftig noch mehr Geräte dieser Art herausbringen werde.
Und wie reagiert die Konkurrenz auf den Telekom-Prototypen, der perspektivisch den Abschied von Apps einleiten könnte? Vodafone macht deutlich, dass es Apps auch künftig für wichtig halte. Marcel de Groot, der für Privatkunden zuständige Geschäftsführer Privatkunden, sagt, dass der Einsatz von Künstlicher Intelligenz die Bedienung von Smartphones auf lange Sicht zwar revolutionieren könne. Jede nachhaltige Veränderung brauche aber Zeit. «Wir glauben, dass Smartphone-Hersteller und App-Anbieter ihre Services und Anwendungen zunächst so anpassen werden, dass der Datenaustausch mit anderen Apps und Betriebssystemen über KI-Funktionen leichter und besser funktioniert.»