Monteure arbeiten am Aufbau der Fan-Zone in Düsseldorf. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Federico Gambarini/dpa)

Mit Prognosen ist es so eine Sache – erst recht, wenn Volkswirte sich mit Fußball beschäftigen. Freimütig räumen die sportbegeisterten Ökonomen der Dekabank in ihrer Analyse zur diesjährigen Fußball-EM (14.6.-14.7.2024) denn auch «etwas kleinlaut» ein, dass sie «schon weit vor Turnierbeginn die erste Fehlprognose abgegeben haben»: 

In der Broschüre zur Europameisterschaft 2021 hatte die Deka vorhergesagt, dass die DFB-Mannschaft bei der Heim-EM von Hansi Flick trainiert werden würde. «Nun gut, der aktuelle Bundestrainer heißt bekanntlich Julian Nagelsmann, aber immerhin war er kurz vor seinem Amtsantritt ebenfalls Bayern-Trainer. Ganz so weit lagen wir also doch nicht daneben.»

Jeder Fünfte traut Deutschland Finalsieg zu

Mit standesgemäßer Akribie hat das Team um Deka-Chefvolkswirt Ulrich Kater die Chancen der Nagelsmann-Elf ausgerechnet. Die schlechte Nachricht: Mensch (Expertentipp) und Maschine (statistisches Modell) sind sich einig: Favorit auf den EM-Titel ist Frankreich.

Bei den Fans ist die Hoffnung groß, dass die deutsche Mannschaft nach den enttäuschenden vorherigen Turnieren (Weltmeisterschaft 2018: Aus in der Vorrunde, Europameisterschaft 2021: Aus im Achtelfinale, Weltmeisterschaft 2022: Aus in der Vorrunde), beflügelt vom Heimbonus besser abschneiden wird. In einer Kantar-Umfrage für die Direktbank ING traut ein Fünftel (19 Prozent) von 1001 Befragten Deutschland den EM-Titel zu.

Nüchterne Statistik sorgt allerdings aus deutscher Sicht nicht gerade für Euphorie: Auf dem Portal «fussballmathe.de» des Frankfurter Mathematikdidaktikers Matthias Ludwig wird anhand verschiedener Parameter (Marktwert von Spielern und Teams, Rangliste, historische Ergebnisse) das Abschneiden der Mannschaften kalkuliert. Demnach wird Deutschland mit einer Wahrscheinlichkeit von 3,95 Prozent Europameister. Deutlich mehr Chancen haben Spanien (15,98 Prozent), England (18,17 Prozent) und Frankreich (20,28 Prozent).

Heim-EM als Schub für die Konjunktur?

Wird die Fußball-Europameisterschaft zumindest zu Deutschlands «Sommermärchen 2.0»? «Mit Blick auf den deutschen Fußball und die Verfassung der deutschen Volkswirtschaft liegt die Phrase nahe, dass früher alles besser war», konstatiert der Deka-Chefvolkswirt Ulrich Kater. Seit Corona-Pandemie und Ukraine-Krieg ist die deutsche Wirtschaft quasi im Dauerkrisenmodus, zwischenzeitlich stand Europas größte Volkswirtschaft wieder als «kranker Mann Europas» am medialen Pranger, 2023 schrumpfte die deutsche Wirtschaftsleistung und Deutschland war konjunkturell Schlusslicht im Euroraum.

Was die harten Konjunkturdaten angeht, macht das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW/Köln) wenig Hoffnung: «Die Erfahrung der Fußball-WM im Jahr 2006 zeigt: Sportliche Großereignisse sind kein Konjunkturfeuerwerk», stellt IW-Konjunkturexperte Michael Grömling fest. «Viele Verbraucher werden die EM zwar zum Anlass nehmen, um sich einen neuen Fernseher zu kaufen, zum Public Viewing einzuladen oder beim Mitfiebern ein Bier mehr zu trinken. Doch dafür sparen sie an anderer Stelle: Bratwurst statt Restaurant, Fernsehabend statt Kinobesuch. Die Konsumausgaben steigen folglich nicht unbedingt, sondern verschieben sich.»

Der ING-Umfrage zufolge wollen die fast 6580 befragten Fußball-Fans aus den EM-Teilnehmerländern im Schnitt 23 Euro für Fanartikel wie Shirts, Poster und Mützen ausgeben. Die befragten Deutschland liegen mit 24 Euro knapp über dem Durchschnitt.

Fußball-Euphorie und wirtschaftliche Realität

Oliver Holtemöller, Vize-Präsident des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) sagte dem «Handelsblatt»: Von der Fußball-EM sind «keine relevanten gesamtwirtschaftlichen Effekte zu erwarten». Zwar rechnet das IWH mit etwa 650.000 Fußballtouristen aus dem Ausland. Allerdings blieben andere Gäste während solcher Turniere wegen teurer Unterkünfte oft fern. Auch heimische Besucher werden nach Einschätzung des IWH der Wirtschaft kaum auf die Sprünge helfen: «Sie geben nicht notwendigerweise mehr aus, sondern kürzen andere Ausgaben, um etwa die Eintrittskarten zu finanzieren.»

Für die Wirtschaft bleiben zumindest psychologische Effekte, wie das IW anführt: «Ein sportliches Großereignis kann die Stimmung aufhellen und das Image des Gastgeberlandes verbessern.» ING-Chefvolkswirt Carsten Brzeski bekräftigt: «Auch wenn es keinen direkten Zusammenhang gibt, kann man darauf hoffen, dass ein guter Auftritt der Mannschaft die Stimmung in Deutschland aufhellt. Einen nachhaltigen Wirtschaftsaufschwung kann König Fußball allerdings nicht hinbekommen. Dafür braucht es Reformen und Investitionen.»

Hoffnung auf Finale dahoam

Und aus sportlicher Sicht? Die Volkswirte der Deutschen Bank gehen anhand einer Kombination «von hochmodernen eigenen Modellen mit einer starken diskretionären Überlagerung durch erfahrene Fußballexperten im Team» davon aus, dass Deutschland «mindestens das Finale erreichen und Zuschauer und Öffentlichkeit mit elegantem Angriffsfußball verzaubern wird». Mit Blick auf die harten Wirtschaftsdaten dominiert aber auch in dieser Analyse die Skepsis: «Aus Vorsicht haben wir diese Vorhersage jedoch noch nicht in unsere Prognosen für das Konsumwachstum im Sommer einfließen lassen.»

Die Ökonomen der Dekabank haben auf Basis ihres mit «modernsten Kommunikationstechniken – wie Videokonferenzen, E-Mails und Abstimmung
durch Handzeichen» ermittelten Expertentipps zumindest in sportlicher Hinsicht Hoffnung. Dann bekäme die deutsche Mannschaft fast auf den Tag genau 50 Jahre nach dem WM-Finale 1974 ein zweites «Finale dahoam» – dieses Mal allerdings in Berlin. «Det wär‘ knorke.»

Von Jörn Bender, dpa

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